„Zeit zur Umkehr – Die Evangelischen Kirchen in Österreich und die Juden“

Nach vielen Jahren die Shoah Namensmauern Gedenkstätte in Wien © Natan Rot
Nach vielen Jahren die Shoah Namensmauern Gedenkstätte in Wien © Natan Rot

25 Jahre „Zeit zur Umkehr“

„Zeit zur Umkehr – Die Evangelischen Kirchen in Österreich und die Juden“

Vor 25 Jahren, im November 1998, hat die Generalsynode der Evangelischen Kirche ein Dokument verabschiedet, das das Verhältnis der Evangelischen Kirchen zu Juden und Jüdinnen und zum Judentum neu definiert aus Anlass des 60. Jahrestages der Pogrome 1938. Darin wird die Mitschuld der Christinnen und Christen und im Besonderen der Evangelischen am Leiden und Elend von Jüdinnen und Juden durch die Geschichte hindurch bekannt. Tiefpunkt dieser Verfolgungsgeschichte war die Vernichtung von Millionen jüdischer Menschen in Europa in der Shoa. Aus dieser Unheilsgeschichte möchten Kirchen ihre Lehren ziehen. Umkehr spielt in der jüdischen Tradition eine wichtige Rolle. Umkehr für die Evangelische Kirche bedeutet von Blindheit, Mitttäterschaft und christlichem Antisemitismus ein neues Verhältnis zum Judentum zu begründen. Das umfasst die ernsthafte Beschäftigung mit der eigenen dunklen Vergangenheit, die Auseinandersetzung mit christlichem Antijudaismus und die Einbeziehung der eigenen jüdischen Wurzeln in Theologie, Gottesdienst und Unterricht.

Grundsatzerklärung der Kirche H.B.

Explizit wird in der Erklärung auch auf die Grundsatzerklärung der Evangelischen Kirche H.B. aus dem Jahr 1996 verwiesen, in der es heißt:

„Gott geht einen Weg mit den Juden und einen mit den Christen. Die heilige Schrift der Juden ist auch für uns als Altes Testament heilige Schrift. Das Verständnis des mosaischen Gesetzes als die gute Gabe Gottes und die Predigt der Propheten haben die Reformation geprägt. Deshalb verurteilt unsere Kirche den Antisemitismus in jeder Form. Sie sucht Begegnung und Versöhnung mit den Juden und lehnt daher christliche Judenmission ab.“

Die Generalsynode hat sich mehrere Selbstverpflichtungen auferlegt und diese gegenüber der Israelitischen Kultusgemeinde in Österreich kundgetan.

Selbstverpflichtungen

In der Erklärung werden sie genannt:

Die Evangelischen Kirchen wissen sich verpflichtet,

– die Erinnerung an die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes und an die Schoah stets wachzuhalten.

– Lehre, Predigt, Unterricht, Liturgie und Praxis der Kirche auf Antisemitismen zu überprüfen und auch über ihre Medien Vorurteilen entgegenzutreten.

– jeglichem gesellschaftlichen und persönlichen Antisemitismus zu wehren.

Weiters wollen die Evangelischen Kirchen in der Beziehung zu Juden und Kultusgemeinden einen gemeinsamen Weg in eine neue Zukunft gehen. Daher gilt es auch, das Verhältnis von evangelischen Christen und Juden entsprechend zu überdenken und zu gestalten.
Inhaltlich theologisch wird die Verbindung und Verbundenheit von Christentum und Judentum hervorgehoben, ohne das Judentum zu vereinnahmen. Die Erklärung betont die bleibende Erwählung des Volkes Israel und bekennt, dass der Christ*innen Gott kein anderer ist als der Gott Israels. Der Bund mit dem Volk Israel ist ein ewiger Bund. Es wird im Besonderen auf das Johannesevangelium Bezug genommen, das von vielen als judenfeindlich gelesen wurde und damit eine fatale antijüdische Wirkungsgeschichte aufweist, aber eben auch sehr positiv über das Judentum spricht. Das zeigt sich in der Aussage: „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh. 4,22).

Ablehnung der Judenmission

Die Umkehr der Evangelischen Kirchen tritt in zwei Punkten konkret zu Tage und unterscheidet sich darin auch von ähnlichen Erklärungen im deutschen Sprachraum: das eine ist die entschiedene Ablehnung der Judenmission, eine Ansage, die auch in den Evangelischen Kirchen nicht überall auf Zustimmung gestoßen ist, und das zweite die klare Verurteilung, ja Verwerfung der antijüdischen Spätschriften Martin Luthers.
Aber in der Erklärung geht es mehr als um Abwehr und Sensibilisierung von Antijudaismus, Antisemitismus und Vergangenheitsbewältigung. Es soll ein neues Verhältnis zum lebendigen Judentum aufgebaut werden. Das beinhaltet auch, beim Lesen der Bibel, in Predigt und Unterricht jüdisches Denken und jüdische Auslegungen der Hebräischen Bibel zu bedenken und gemeinsame biblische Heilsgeschichte in den Texten zu erkennen, aber auch Unterschiede auszuhalten. Des Weiteren wird auch der moderne Staat Israel angesprochen, mit dem sich die überwiegende Mehrheit der heute lebenden Jüdinnen und Juden identifiziert oder in Beziehung steht. In der Erklärung heißt es: „Wir hoffen und beten, dass dieser Staat mit seinen Nachbarn – insbesondere mit dem palästinensischen Volk – in gegenseitiger Achtung des Heimatrechtes einen sicheren Frieden findet, so dass Juden, Christen und Muslime friedlich zusammenleben können. Und schließlich endet die Erklärung mit der Aufforderung, am 17. Jänner, vor dem Beginn der Gebetswoche für die Einheit der Christen, diesen Tag als Tag der Verbundenheit mit dem Judentum zu begehen. Daraus wurde in der Folge der Tag des Judentums, an dem im ganzen Land Gottesdienste mit klar jüdischen Bezügen gefeiert werden.

In einem eigenen Studientag haben wir über das Dokument, seine Auswirkungen und Themen des christlich-jüdischen Gesprächs in Impulsreferaten und Workshops nachgedacht.

Thomas Hennefeld