„Wir lassen uns das nicht länger gefallen!“

Hagar Abouwarda, Pressesprecherin der Muslimischen Jugend (MJÖ), beurteilt die religionspolitische Lage sehr kritisch. Im Gespräch mit Bernhard Lauxmann bedankt sie sich für die Solidarität von Christen und Christinnen. Foto: MJÖ

Die „Islamlandkarte“ macht wütend, ratlos und beschämt.

Die Präsentation der „Islamlandkarte“ im Mai dieses Jahres und ihre Folgen haben eine Welle der Entrüstung ausgelöst und scharfe Kritik an der österreichischen Religionspolitik provoziert. Die Skepsis der Regierenden gegenüber Religion – v.a. gegenüber dem Islam – hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Die Aktion der Regierung lässt zweifeln an der weltanschaulichen Neutralität des Staates, am Kooperationsmodell zwischen Staat und Religionsgemeinschaften sowie an der Ernsthaftigkeit, den Islam als Teil österreichischer Religionskultur anzuerkennen. Die demokratiegefährdenden Dynamiken einer anti-muslimischen Religionspolitik werden von vielen Menschen nicht (mehr) erkannt oder – schlimmer noch – offen befürwortet. Wer sich wie Bischof Michael Chalupka, Landessuperintendent Thomas Hennefeld, Oberrabinner Pinchas Goldschmidt, Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz, Europaratsprecher Daniel Holtgen oder Integrationssprecherin Faika El-Nagashi heute mit Muslimen und Musliminnen solidarisiert und die krude Religionspolitik kritisiert, wird als Schönrednerin, Gutmensch oder Besserwisser diskreditiert.

Fest steht: Während es lange Zeit als Zivilisationserfolg galt, dass der Staat nicht mehr über religiöse Wahrheiten befindet (das hatte zu Religionskriegen geführt), werden heute durch Regierungsorgane erneut religiöse Haltungsnoten verteilt. Man entscheidet wieder über gute und schlechte Religion und markiert diese entsprechend. Die Beobachtung, Listung und Kontrolle muslimischer Einrichtungen durch den Staat im Auftrag einer religionspolizeilich agierenden Regierung mithilfe neuer Einrichtungen wie der Dokumentationsstelle „Politischer Islam“ ist konsequent, aber religionspolitisch falsch. Zudem ist das Vorgehen religionsrechtlich brisant: Gleicht die Beobachtung islamischer Einrichtungen durch die Dokumentationsstelle dem Blick der Bundessektenstelle, so wäre dies rechtlich unzulässig. Das Aktivwerden der Bundessektenstelle gegen anerkannte Religionsgemeinschaften hat der Gesetzgeber untersagt. „Wir lassen uns das nicht länger gefallen!“, sagt Präsident Ümit Vural.

Ausweiten des „antimuslimischen Spielraums“
Um islamfeindliche Wähler und Wählerinnen zu mobilisieren, sind die Regierenden sehr kreativ geworden: Man etablierte mit der mantraartig wiederholten Rede vom „Politischen Islam“ ein bedrohliches Wording. Man deutete Religionsfragen konsequent in Integrationsfragen um. Man verschärfte das Islamgesetz ohne Beteiligung der Betroffenen. Man schuf Einrichtungen wie die Dokumentationsstelle. Dadurch erhöhte sich der anti-muslimische Spielraum. Der bis Ende Juni vorläufig letzte Schritt war die Veröffentlichung einschlägiger (auch ungeprüfter, auf Verdacht basierender und privater) Daten über muslimische Einrichtungen unter dem Vorzeichen der eingeübten Rede vom „Politischen Islam“. Auch nach Bekanntwerden zahlreicher Übergriffe halten die Verantwortlichen am religionspolitischen Kurs unbeirrt fest. Die perfide Policy hinter der „Islamlandkarte“ wird fortgeführt – nicht obwohl, sondern weil sie zu Lasten von Muslimen und Musliminnen geht.

Der Wind gegenüber Religionen weht rau

– für Muslime und Musliminnen stürmisch, längst nicht mehr ungefährlich. Solidarität, auch unsererseits, ist dringend nötig. Jetzt ist die Zeit, um muslimischen Nachbarn Mut zuzusprechen. Jetzt ist die Zeit für Gespräche über das religiöse Klima in diesem Land. Jetzt ist die Zeit, um Menschen, die sich in muslimischen Organisationen engagieren, zu unterstützen. Wer sich solidarisch zeigt, wird rasch erfahren, wie groß die durch eine Politik der konstanten Verdächtigung ausgelösten Verletzungen bereits sind. Die Spuren einer Religionspolitik des Auseinanderdividierens sind unverkennbar. Narben bluten wieder. Solidarität ist ein erster Schritt, Widerstand der nächste.

Bernhard Lauxmann
Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie, Universität Wien
Mag. Dr. Bernhard Lauxmann (*1989) ist evang. Theologe und stv. Vorstand des Instituts für Praktische Theologie und Religionspsychologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien. Seit 2018 forscht er zu zeitgenössischen Glaubenskulturen und der Singularisierung des Christseins. 2020 wurde er in die Redaktion der Zeitschrift „Amt und Gemeinde“ berufen.