Von einer Armenbewegung zur italienischen reformierten Kirche

Das von Gerold Brandstötter entworfene Denkmal erinnert an die im Jahr 1397 unter Inquisitor Petrus Zwicker verbrannten Steyrer Waldenser. Es wurde 1997 am Prof.-Jörg-Reitter-Platz errichtet. Im Hintergrund verläuft die Berggasse entlang der Schlossmauer.

In diesem Jahr feiert die Waldenserbewegung ihr 850-jähriges Bestehen.

Die Waldenserkirche (offiziell: Chiesa Evangelica Valdese – Unione delle Chiese metodiste e valdesi) ist aus einer südfranzösischen vorreformatorischen Bewegung entsprungen und bildet eine reformierte Kirche mit etwa 98.000 Mitgliedern, davon 45.000 in Italien, die sowohl in ihrem Kerngebiet, den Waldensertälern im Piemont, als auch als Diasporakirche in ganz Italien, Argentinien und Uruguay verbreitet ist. Im Jahr 1972 unterzeichneten die italienischen Methodist:innen eine Verwaltungsunion mit der Waldenserkirche. Sie ist heute unter anderem Mitglied der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WRK) und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE).

Waldenser im Mittelalter

Im Jahr 1174 beschloss der wohlhabende Kaufmann Petrus Valdes von Lyon (1140 – ca. 1206) nach einer spirituellen Krise, ein christliches Leben nach dem Vorbild der Apostel zu führen. Er verkaufte seinen gesamten Besitz, um sich der apostolischen Armut zu verpflichten und das Evangelium frei zu predigen. Obwohl er keine Rebellion gegen das kirchliche Establishment plante, sondern eine Erneuerung im Geiste der Reformen von Papst Gregor VII. anstrebte, geriet er bald in Konflikt mit der Hierarchie. Als Laie ohne theologische Ausbildung predigte er, was zu dieser Zeit dem Klerus vorbehalten war. Schließlich exkommunizierte das Konzil von Verona im Jahr 1184 verschiedene Bewegungen, darunter auch die Waldenser.

Die Waldenserbewegung erfreute sich großer Beliebtheit und breitete sich in den Cottischen Alpen, der Provence, Kalabrien und Süddeutschland aus. Die Inquisition zwang sie jedoch bald in den Untergrund. Die Bewegung blieb jedoch bis zum 16. Jahrhundert ihren Prinzipien treu und betonte insbesondere die Treue zum Evangelium und die Armut der Kirche. Auch in Österreich sind seit dem 13. Jahrhundert Waldensergemeinden nachweisbar. Die Verfolgung durch die Inquisition trieb die Bewegung jedoch bald in den Untergrund. In Steyr, vermutlich einer Hochburg der Bewegung in Österreich, erinnert ein Denkmal an die Verbrennung von 80 bis 100 Waldensern im Jahr 1397.

Anschluss an die Schweizer Reformation

Die Waldenserbewegung beschloss 1532, sich der Schweizer Reformation anzuschließen und sich als Kirche zu organisieren. Im Jahr 1561 wurde der Friede von Cavour unterzeichnet, der das erste Beispiel für Religionsfreiheit in Europa darstellte, auch wenn die Waldenser ihre Religion nur in den piemontesischen Bergregionen über 700 m Höhe frei ausüben durften. Dennoch waren sie immer wieder Verfolgungen durch die Könige von Frankreich und Savoyen ausgesetzt, die versuchten, sie zum katholischen Glauben zurückzuführen. Im Jahr 1655 erreichte die Verfolgung einen tragischen Höhepunkt, was zu einem Protest des protestantischen Europas führte. Wenige Tausend überlebten das Massaker und flüchteten in die Schweiz, kehrten jedoch 1689 in einem denkwürdigen Marsch (Glorioso Rimpatrio) zurück. Schließlich erlangten die Waldenser 1848 Religionsfreiheit und breiteten sich in Italien und Südamerika aus.
Waldenser Wappen

Waldenser heute

Die Waldenserkirche wird heute theologisch als Ausdrucksform des reformierten Glaubens im italienischen Sprach- und Kulturraum betrachtet. Die Waldenser betrachten und identifizieren sich mit den theologischen Grundlagen der Reformation, wie sie von den Reformatoren formuliert und im Verlauf der vielfältigen und pluralistischen Geschichte des Protestantismus in Europa weiterentwickelt wurden. obwohl es keine spezifisch waldensische Theologie gibt, existiert dennoch eine einzigartige waldensische Sensibilität, die evangelische Grundüberzeugungen für den italienischen Kontext adaptiert.

Gleichzeitig hat der feindliche Kontext, in dem die Kirche überleben musste, ihre Identität und ihr christliches Zeugnis in entscheidender Weise geprägt. Dieses Erbe schwingt im gegenwärtigen ökumenischen Dialog mit der römisch-katholischen Kirche mit. Die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus ist auch heute noch ein Bestandteil des christlichen Zeugnisses in Italien, insbesondere in Bezug auf die waldensischen Positionen zu ethischen und sozialen Themen, die in der zeitgenössischen italienischen Gesellschaft als stark umstritten gelten. Darüber hinaus beschäftigen die gesellschaftskritischen Fragen der Befreiungstheologie immer noch die lateinamerikanischen Gemeinden.
Waldenserkirche Rom
Eine progressive Kirche

Das theologische und ethische Profil der Waldenserkirche lässt sich vor allem durch das Zusammenspiel zwischen den reformatorischen Grundüberzeugungen, dem soziopolitischen Einfluss des Katholizismus in Italien und dem traditionell antiklerikalen Profil eines Teils der italienischen Gesellschaft erklären. Die deutlich progressiven Positionen der Kirche zu den aktuellen Herausforderungen des italienischen Kontexts, wie Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, Minderheitenrechte (z. B. die der LGBTQ-Community) und bioethische Fragen (z.B. die Leihmutterschaft) sind klare Beispiele für dieses Zusammenspiel.

Bekannt ist auch die Mandatssteuer (8‰ der Lohn- und Einkommensteuer), die laut Synodalbeschluss nicht für die Besoldung der Pfarrer:innen, sondern ausschließlich für karitative, soziale und kulturelle Projekte in Italien und weltweit verwendet werden darf. Die Qualität der Projekte hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass auch nicht-evangelische Steuerzahler:innen ihren Beitrag, den sie frei widmen können, vermehrt der Waldenserkirche zukommen lassen.

Die Einzigartigkeit der Waldenserbewegung liegt nicht nur in ihrer 850 Jahre währenden historischen Kontinuität, sondern auch in ihrer Fähigkeit, ihren Glauben und das daraus entspringende soziale Engagement in verschiedenen Kontexten zu bezeugen.

Innenraum der Waldenserkirche in Rom

Angelo Comino
Nicola Mariani

Fotos:
Gerald Brandstötter: Waldenserdenkmal in Steyer
Foto: Christoph Waghubinger (Lewenstein)

Das Wappen der Waldenser: Leuchter mit Umschrift Lux lucet in tenebris (Das Licht scheint in der Finsternis, nach Johannes 1,5); die sieben Sterne verweisen auf die Vollzahl der Gemeinden nach Offenbarung 1,20
www.heiligenlexikon.de/Glossar/Waldenser

Waldenser Rom: Innenraum einer der beiden Waldenserkirchen in Rom
Foto: Gabriel Kondratiuk

Waldenserkirche an der Piazza Cavour in Rom
Foto: Angelo Comino