Seit vielen Jahrzehnten kämpfen Israelis und Palästinenser, Menschen jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens, miteinander für einen gerechten Frieden in Israel und in Palästina. Sie arbeiten nicht nur zusammen, sondern prangern auch gemeinsam die Besatzung, Menschenrechtsverletzungen, Übergriffe jüdischer Siedler in der Westbank und willkürliche Verhaftungen, Häuserzerstörungen und die Blockade des Gazastreifens seit über 15 Jahren an.
In den letzten Monaten hat die rechtsextreme Regierung Israels, die rechteste seit der Staatsgründung, die Lage noch einmal verschärft. Nach innen steuerte das Land auf einen Bürgerkrieg zu, vor dem sogar der israelische Staatspräsident Herzog warnte. Die Regierung wollte unbedingt eine Justizreform durchpeitschen, die viele Israelis als Putsch ansahen und als das Ende der liberalen Demokratie in Israel. Nach außen wurde noch massiver gegen PalästinenserInnen in der Westbank vorgegangen. Am 7. Oktober explodierte die Gewalt in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß. Die grausamen Massaker der Hamas-Milizen an israelischen Kindern und Frauen, die Verschleppung von über 200 Menschen, die als Geiseln nach Gaza entführt wurden, all das war eine Zäsur für Israel und für Jüdinnen und Juden weltweit, der größte Massenmord an jüdischen Menschen seit der Shoah. Es folgten schwere Raketenangriffe mit der Tötung von tausenden Menschen und die vollständige Abriegelung des Gazastreifens. Tagelang gab es kein Wasser, keine Nahrungsmittel, keinen Strom, keinen Treibstoff.
Flächenbrand droht
Seit diesen entsetzlichen Verbrechen der Hamas droht ein Flächenbrand im ganzen Nahen Osten, die Emotionen schwappen nach Europa über. Hassparolen, Vernichtungsfantasien und Bombendrohungen gibt es weltweit. Vergeltung, Rache, legitime Selbstverteidigung, Solidaritätsbekundungen mit der einen oder anderen Seite sind zu hören und zu sehen, bei Demos und auf Gedenkveranstaltungen, auf der Straße und in den Medien. Jüdinnen und Juden werden auch bei uns bedroht, Häuser von Juden werden gekennzeichnet, SchülerInnen haben Angst in ihre jüdischen Schulen zu gehen. In dieser aufgeladenen und aufgeheizten Atmosphäre möchten wir jene Stimmen zu Wort kommen lassen, die sich dem Frieden und der Verständigung verpflichtet fühlen in einem Meer von Hass, Gewalt und Fanatismus. Hier lesen Sie Auszüge aus Erklärungen, Stellungnahmen aus den letzten Wochen.
Thomas Hennefeld
Erklärung des ÖRKÖ vom 12.10.2023 bei der Vollversammlung
Wir sind zutiefst erschüttert und entsetzt über den Gewaltausbruch im Nahen Osten. Wir verurteilen die Angriffe der Hamas auf Zivilistinnen und Zivilisten in Israel, die Morde und die Verschleppung von Geiseln. Wir fordern die unverzügliche Freilassung der Geiseln. Wir versichern auch den Jüdinnen und Juden und den jüdischen Gemeinden in Österreich unsere Solidarität in Sorge und Betroffenheit.
Wir verurteilen alle Gewaltakte gegen Zivilisten und sprechen uns für den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza aus. Eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe muss verhindert werden.
Wir sind zugleich solidarisch mit unseren bedrängten christlichen Geschwistern im Heiligen Land, in Israel, Palästina und der gesamten Region, die sich große Sorgen um ihre Zukunft machen.
Wir warnen eindringlich vor einer Eskalation des Konflikts im Nahen Osten und eine Ausweitung darüber hinaus. Wir sind in diesem Zusammenhang sehr besorgt um den Frieden und Zusammenhalt in Österreich. Wir rufen alle Menschen in unserem Land zu gegenseitigem Respekt auf, und dazu, alles zu unterlassen, was Spaltung, Hass und Gewalt fördert. Mit besonderer Sorge nehmen wir die zunehmenden antisemitischen Vorkommnisse in Österreich wahr, für die es in Österreich keinen Platz geben dar. Hier gilt es entschieden zu handeln. Behörden, Politik und Zivilgesellschaft und damit auch die Kirchen sind hier gleichermaßen gefordert.
Wir beten für den Frieden und dafür, dass der Kreislauf der Gewalt durchbrochen wird. Wir unterstützen alle Friedensinitiativen, die sich um ein Ende der Gewalt, um gegenseitige Verständigung und um einen gerechten Frieden im Heiligen Land bemühen.
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Eine Erklärung von 27 israelischen Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen, 12.10.2023
Auch jetzt – und gerade jetzt – müssen wir unsere moralische und humane Haltung beibehalten und uns weigern, der Verzweiflung oder dem Drang nach Vergeltung nachzugeben. Unser Glaube an den menschlichen Geist und das ihm innewohnende Gute ist wichtiger denn je. Eines ist klar: Wir werden unseren Glauben an die Menschlichkeit niemals aufgeben – auch jetzt nicht, wo dies schwieriger denn je ist.
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Gegen die drohende Spaltung unserer Gesellschaft können wir nur gemeinsam einstehen
Eine gemeinsame Erklärung zum Krieg in Israel und Gaza (Auszug) vom 25.10.2023 auf der Website des Jüdischen Museums Hohenems
Noch immer lähmt uns Entsetzen und der Schock angesichts des pogromartigen, antisemitischen und frauenverachtenden Terrors gegen unschuldige israelische Zivilist*innen am 7. Oktober und die dadurch bereits entfesselte Spirale der Gewalt. Die fehlende Aussicht auf eine baldige gewaltlose Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern verursacht bei vielen Menschen auf beiden Seiten des Zauns und ihren Angehörigen und Freunden Gefühle von Ohnmacht, Verzweiflung und Wut. Inmitten dieses Irrsinns möchten wir ein gemeinsames Zeichen für Gewaltlosigkeit, Humanität und Heilung setzen.
Wir fordern alle Menschen, die sich emotional vom Konflikt und dem aktuellen Ausbruch der Gewalt betroffen fühlen auf, weiterhin (und jetzt erst recht!) das Gespräch miteinander zu suchen und sich nicht spalten und gegeneinander aufhetzen zu lassen.
Antisemitismus ist eine reale Bedrohung jüdischen Lebens – und die sich bereits abzeichnende neue Welle judenfeindlicher Verschwörungsfantasien bereitet uns große Sorgen. Aber weder kann Antisemitismus mit antimuslimischem Rassismus begegnet werden, noch darf der Rassismus in unserer Gesellschaft als Rechtfertigung missbraucht werden, der grassierenden Terrorpropaganda aufzusitzen.
Wir wissen, dass auf den Dialog in unserer diversen Gesellschaft neue, schwierige Herausforderungen zukommen. Aber gegen die drohende Spaltung unserer Gesellschaft können wir nur gemeinsam einstehen. Hier wie dort.
Prof. Dr. Zekirija Sejdini
Institut für Islamische Theologie und
Religionspädagogik, Universität Innsbruck
Dr. Hanno Loewy
Jüdisches Museum Hohenems
Arnon Hampe, Dipl.-Pol.
#OhneAngstVerschiedenSein