«Reformiertes Labor»

«Indie-Christen»: Nomad:innen zwischen Lagerfeuern

Das RefLab unter reflab.ch ist ein Projekt der Reformierten Kirche Zürich. Auf dieser Plattform werden aktuell die Themen Glaube, Religion und Spiritualität debattiert und thematisier. Es ist eine Online-Community, die folgende Ziele verfolgt: «Wir möchten wir zusammen nachdenken, lernen, diskutieren, zweifeln und hoffen. Wir möchten unsere Ideen teilen, gemeinsam neue Formen der Zusammenarbeit suchen und pragmatische Lösungen für ein neugieriges und weltoffenes Publikum anbieten. Mitten im Leben. Auf Blogs und in Podcasts. Für dein Gefühl und deinen Verstand.» Wir haben Evelyne Baumberger gebeten, dem Reformierten Kirchenblatt einen kleinen Einblick in ihre Teamarbeit zu geben.

Wir „Indie-Christen“ identifizieren uns mit der christlichen Tradition, aber nicht einer bestimmten Denomination. Menschen verstehen immer seltener eine einzelne Kirche als „geistliches Zuhause“, sondern finden Kirche an verschiedenen Orten – an spirituellen Lagerfeuern.

An einem der letzten Herbsttage 2021 übernachtete ich mit Freund:innen auf einem Berg. Am späteren Nachmittag machten wir ein Feuer, buken «Schlangenbrot» und grillten, und als es langsam dunkel wurde, rückten wir am Feuer näher zusammen. Wir erzählten, sangen und schwiegen gemeinsam, bis sich die ersten in ihre Schlafsäcke verabschiedeten.

DIGITALE UND SPIRITUELLE LAGERFEUER

Vor einiger Zeit bin ich über den Begriff „digitale Lagerfeuer“ gestolpert. Junge Leute seien heute immer weniger in großen sozialen Netzwerken wie Facebook zu finden. Sondern sie bewegten sich an intimeren digitalen Orten wie Messaging-Diensten oder kollektiv gespielten Games – „digitalen Lagerfeuern“.

„Soziale Netzwerke können sich wie überfüllte Flughafen-Terminals anfühlen, wo zwar alle sein dürfen, aber sich niemand wirklich gerne aufhält. Dagegen bieten digitale Lagerfeuer intimere Oasen, in denen kleinere Gruppen von Menschen sich rund um gemeinsame Interessen gerne versammeln.“ (Sara Wilson, Harvard Business Review)

Die Definition klang in mir an. Weniger in Bezug auf meine digitalen Orte als auf meine Spiritualität: Als „Indie-Christin“, als Christin ohne feste Gemeindezugehörigkeit, bewege ich mich als gläubige Nomadin zwischen unterschiedlichen spirituellen Lagerfeuern. Und ich bin damit nicht alleine. Es gibt eine Bewegung von Menschen, die zwar an Gott glauben und sich in der christlichen Tradition verstehen, aber nicht mehr mit einer bestimmten Denomination identifizieren: Eine Bewegung von „Indie-Christ*innen“. Menschen, die viele Fragen stellen und offen sind für Impulse von den verschiedensten Orten. Die nicht glauben, spirituell an einem spezifischen Ort ankommen zu müssen, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Gott und zu Menschen zu finden.

ZWISCHEN NOMADENTUM UND VERBINDLICHKEIT

Für „Indie-Christen“ eignet sich in Anlehnung an die digitalen Lagerfeuer die Metapher von „spirituellen Lagerfeuern“, zwischen denen wir uns bewegen, in kleineren und wechselnden Gruppen statt in einer festen kirchlichen Gemeinschaft. Eine Alternative in Zeiten von Corona – und von gesellschaftlichen Megatrends wie Mobilität, Konnektivität, Pluralismus und Individualisierung.

Spirituelle Lagerfeuer können kleine, gemischte Gruppen im Stil von Hauskreisen sein, oder 1:1-Freundschaften, in denen man über Jahrzehnte gemeinsam unterwegs ist und auch für- und miteinander betet. Ein Gottesdienst oder die eigene Familie. Spirituelle Lagerfeuer können aber auch offene und geschlossene Online-Communities sein, Kommentarspalten von Podcasts. Oder auch kontemplative Auszeiten an klösterlichen Orten. Das alles ist Kirche: Glaube in Gemeinschaft. Nicht alle Gruppen sind gleich verbindlich, manchmal sucht man sie punktuell auf, manchmal ergibt sich ein Lagerfeuer, wo und zu wem uns das Leben hinspült. Diese kleineren Lagerfeuer sollen die bestehenden Kirchen nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die Bewegung der „Fresh Expressions of Church“ kennt den Begriff der „Mixed Economy“: Traditionelle Kirchgemeinden und spezifische „Milieu-Kirchen“ für eine bestimmte Gruppe von Menschen ergänzen sich. Das Feuer, das uns wärmt und verbindet, ist überall dasselbe. Doch christliches Nomadentum sucht Gott, Jesus Christus und die heilige Geistkraft nicht an einem einzigen bestimmten Ort, sondern in neuen und alten Formen, in verschiedenen Beziehungen und Ausdrucksformen. Es ist ein Unterwegs-sein mit Gott, das einen im Laufe des Lebens an unterschiedliche Lagerfeuer führt.

Evelyne Baumberger studiert Theologie und arbeitet bei RefLab, einer Digitalplattform der reformierten Landeskirche Zürich. Dieser Artikel erschien zuerst bei reflab.ch.

Foto: Screenshot HK