Reformierte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien

Die Anfänge

Im Jahr 2021 feiert die Evangelisch-Theologische Fakultät ihr 200-jähriges Bestehen. Dass hier stets auch Reformierte lernten, lehrten und wirkten ist mitunter nicht bewusst. Dabei wurde schon bei der Errichtung der Vorgängerinstitution der heutigen Fakultät, der „Evangelisch-Theologischen Lehranstalt“ in einer besonderen Art und Weise auf die konfessionelle Situation unter den Evangelischen der Habsburgermonarchie Rücksicht genommen.

Getrennte Lehrstühle

Auf Wunsch der beiden Superintendenten Johann Wächter und Justus Hausknecht entstanden getrennte Lehrstühle sowohl für die Dogmatik als auch für die biblische Exegese, die jeweils von einem lutherischen respektive einem reformierten Theologen besetzt wurden. Der konfessionellen Teilung der Exegese war allerdings kein langer Bestand gegebenen. Nachdem schon die erste Besetzung der Stelle nicht problemlos verlaufen war und sich lange niemand dafür gefunden hatte, konnte nach der Pensionierung des ersten Lehrstuhlinhabers Johann von Patay kein Nachfolger mehr berufen werden. Patay selber war mehr als Prediger und Pfarrer der reformierten Ungarn in Wien denn als Wissenschaftler in Erscheinung getreten. Bereits 1850 wurde also die Professur für „Exegese helvetischer Confession“ aufgegeben. Erhalten blieb der Lehrstuhl für Reformierte Dogmatik. Seine Inhaber sind in Folge wohl auch die prägendsten Reformierten an Lehranstalt und Fakultät und wirkten oft weit darüber hinaus. Nach dem bereits erwähnten Patay, der sowohl für Dogmatik als auch Exegese zuständig war, folgte 1851 auf den nun nur noch systematisch-theologischen Lehrstuhl mit Gábor von Szeremlei ebenfalls ein Ungar, der Wien aber nur einige Jahre erhalten blieb und bereits 1856 an die Reformierte Akademie in Sárospatak wechselte. Szeremlei hatte sich vor seiner Zeit in Wien vor allem als Philosophieprofessor in Ungarn einen hervorragenden Ruf erarbeitet und wurde als „lumen Hungariae“ bezeichnet. Seine Lehrtätigkeit lässt Rückschlüsse auf die sprachliche Zusammensetzung der reformierten Studenten in Wien zu, denn er unterrichtete nicht auf Deutsch (wie noch Patay), sondern auf Ungarisch und Latein.

Herausragende Gestalten

Auf Szeremlei folgte fast ein Jahrzehnt der Vakanz, bis 1864 der Hamburger Eduard Böhl nach Wien kam. Neben der systematischen Theologie war Böhl auch in der Bibelwissenschaft, Religionsphilosophie und Pädagogik tätig und zudem ein großer Verehrer Luthers. Gleichzeitig war er als reformierter Theologe ein Vertreter des Neocalvinismus und dabei offenbar so eindrücklich, dass eine Reihe lutherischer Studenten unter seinem Einfluss die Konfession wechselten und es damit ihrem Lehrer gleichtaten, denn auch Böhl selber war unter dem Einfluss der Elberfelder Erweckungsbewegung um Friedrich Kohlbrügge (seinen späteren Schwiegervater) zum Reformiertentum konvertiert. Böhl war international vernetzt und wirkte stark in die Gemeinden hinein. Neben den Niederlanden wurde er vor allem in den evangelischen Kreisen Böhmens und Mährens geschätzt. Als seinen Nachfolger hatte Böhl seinen Schüler Alexander Venetianer vorgesehen. Dieser hatte sich erst im Erwachsenenalter taufen lassen und entstammte einer sephardisch-jüdischen Familie aus Mähren. Venetianer wurde aber vom Professorenkollegium abgelehnt. Der als Ersatz vorgeschlagene Kandidat Bohumil Mareš verstarb noch vor einer Entscheidung. In Anbetracht dieser Personalsituation erhielt der Pfarrer der Reformierten Stadtkirche, Carl Alphons Witz-Oberlin, eine außerordentliche Professur. Witz-Oberlins außergewöhnliche pazifistische Haltung und sein friedenstheologisches Erbe wurden vor kurzem wiederentdeckt. Als Gründer der „Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich“ machte er sich auch um die Erforschung und wissenschaftliche Beschäftigung mit der Protestantismusgeschichte des Landes höchstverdient. Auch Witz-Oberlins Nachfolger Josef Bohatec war von bleibender Wirkung und Bedeutung: Bereits seit 1913 auf einer ao. Professur wurde Bohatec 1916 ordentlicher Professor in Wien. Davor hatte er nach Studien in Prag (bei Tomáš Garrigue Masaryk), Wien, Halle, Berlin und Erlangen das Reformierte Predigerseminar in Elberfeld geleitet und sich in Bonn habilitiert. Bohatec war vor allem als Calvinforscher von internationaler und bis in die Gegenwart reichender Bedeutung und widmete dem Genfer Reformator das Gros seines wissenschaftlichen Œuvres. Seine Arbeit wurde sowohl international, wovon etwa die zahlreichen Ehrendoktorate anderer Universitäten zeugen, als auch in Wien hoch angesehen. So ist Bohatec der erste und einzige evangelische Theologe auf der Theologischen Ehrentafel der Universität Wien. Bohatec blieb der Fakultät bis 1951 als Honorarprofessor erhalten. Er wirkte nicht nur akademisch, sondern auch in der Reformierten Stadtkirche Wien-Innere Stadt und der Kirche H.B.

Nachkriegszeit und Gegenwart

1952 wurde dann der damalige Landessuperintendent Johann Karl Egli als erster gebürtiger Wiener an die Fakultät berufen. Die Ernennung von Professoren aus Kirchenkreisen entsprach dabei durchaus der Praxis der Nachkriegszeit. Egli war dementsprechend auch weniger Wissenschaftler als Lehrer für den theologischen Nachwuchs und die Gemeinden des Landes. Auf Egli folgte 1964 mit Kurt Lüthi ein Schweizer. Er hatte den Lehrstuhl bis 1990 inne und ist vor allem durch seine dialogischen Bemühungen (mit Judentum, Katholizismus, Marxismus…) und den Arbeiten in den Grenzbereichen der Theologie in Erinnerung geblieben (z.B. seiner Sexualethik). Nach einer verhältnismäßig kurzen Vakanz von zwei Jahren wurde 1992 Ulrich H.J. Körtner und damit der gegenwärtige Professor für Systematische Theologie H.B. berufen, der vor allem durch seine medizinethischen Forschungen bekannt ist. Auch neben der Systematischen Theologie H.B. waren und sind immer wieder Reformierte an der Universität tätig. Etwa Grete Mecenseffy, die aus reformierter Familie stammend erst im Ruhestand das Theologiestudium ergriff, dann aber ein umso beeindruckenderes wissenschaftliches Werk, vor allem in der Österreichischen Geschichte und Kirchengeschichte, schuf und sich daneben im Besonderen um die Gleichstellung der Frauen in der Kirche verdient gemacht hat. Auf Lehrstühlen der Evangelisch-Theologischen Fakultät sind hier der Kirchenhistoriker Wolfgang Wischmeyer, zeitweise Mitglied der Synode H.B., oder der Alttestamentler James Alfred Loader, ordinierter Pfarrer der „Niederdeutschen Reformierten Kirche in Südafrika“ und der Kirche H.B., zu nennen. Auf seinen Lehrstuhl wurde mit Annette Schellenberg, gebürtig aus Zürich, wiederum eine Reformierte berufen. So schließt sich mit der auffallenden Präsenz reformierter Theologinnen und Theologen gerade in der alttestamentlichen Wissenschaft gewissermaßen der Kreis zu den Anfangsjahren der Fakultät und einer eigenen „Exegese helvetischer Confession“. Gleichzeitig sind im Jubiläumsjahr mit zwei Professuren und zwei Emeriti so viele Reformierte wie niemals zuvor Teil des Lehrkörpers der Fakultät.

Leopold Potyka