„pointiert und unbequem“

Kurt Marti, Dorothee Sölle und Adolf Muschg © Hektor Leibundgut, Wikicommons

Erinnerungen an den Dichter und Theologen Kurt Marti

Am 31. Jänner feierte die literarische Gemeinde der Stadt Bern und die Kirchgemeinde Nydegg den 100-jährigen Geburtstag des Dichters und Theologen Kurt Marti. Er war somit auch ein Zeitgenosse von Friedrich Dürrenmatt, dem anderen großen Berner Schriftsteller, der in diesen Tagen ebenfalls seinen 100-jährigen Geburtstag gefeiert hätte. Was ich persönlich zu einem Gedenken an Kurt Marti beitragen kann, lässt sich vielleicht aus meinen Erinnerungen an meine Jugendzeit zusammentragen, in der ich in der unmittelbaren Umgebung der Nydeggkirche, am Nydeggstalden, aufgewachsen bin.

Pointiert und unbequem

Zum Zeitpunkt, als Kurt Marti als Pfarrer an die Nydeggkirche berufen wurde, (er war von 1961 bis 1983, bis zu seiner Pensionierung, Pfarrer an dieser Kirche), steckten meine beiden Brüder und ich noch in den Kinderschuhen. Unsere Familie war gerade an den benachbarten Nydeggstalden gezogen. In diesem Gebiet der Kirchgemeinde Nydegg siedelten sich zusehends neue Bürger aus einer intellektuellen und gehobenen Mittelschicht an. Kurt Marti, als der damals schon renommierte Pfarrer und Dichter, wurde somit in seinen pointierten Aussagen zum kulturellen und politischen Leben der Stadt sehr wohl wahrgenommen. Seine Publikationen wurden auch im Kreise meiner Eltern und ihrer Freunde angeregt diskutiert und besprochen, und das haben auch wir Heranwachsende mitbekommen. Kurt Marti war immer für ein Stadtgespräch gut und ein „unbequemer“ Zeitgenosse für die Obrigkeit, sei es, weil er sich in seinen Predigten klar und deutlich für den Abzug der amerikanischen Truppen aus Vietnam, für das Verbot von Atomwaffen oder auch für das Eintreten gegen Atomkraftwerke einsetzte. Das führte 1972 dazu, dass der Regierungsrat des Kantons Bern es aus politischen Gründen ablehnte, eine Professur von Kurt Marti an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bern zuzulassen. Kurt Marti empfand diese Ablehnung damals als eine Auszeichnung seiner politischen Haltung. Etwas reumütig und verschämt wurde ihm dann 1977 nachträglich doch noch die Ehrendoktor-Würde der Universität Bern verliehen.

Nydeggkirche © Marc Haltmeyer

Pfarrer, Dichter, Schriftsteller

Die Texte von Kurt Marti sind mir auch später oft als Zitate und Bibel-auslegungen in den Predigten seiner Kollegen und Nachfolger Klaus Bäumlin und Markus Niederhäuser begegnet. Beide verfassten letztes Jahr an der Nydeggkirche sogar eine ganze Predigtreihe mit dem Titel „barfüßig“ zu Texten von Kurt Marti. Das zeigt ihre große Wertschätzung und Bewunderung für ihren Kollegen. Kurt Marti hatte in seinen Predigten nie Berndeutsch gesprochen, obwohl er ja auch vor allem als Berner Mundartdichter bekannt geworden ist. Er hatte immer ganz klar getrennt zwischen seinem Auftrag als Pfarrer und seiner Berufung als Dichter und Schriftsteller.

Die Erklärung von Bern

In den 68er Jahren, in denen es auch in der Schweiz und in Bern an den Universitäten kräftig rumorte und die Studierenden lauthals Mitbestimmung einforderten, waren auch Kurt Marti und seine theologischen Mitstreiter mit der Erklärung von Bern in der Öffentlichkeit wahrzunehmen. In der Erklärung von Bern 1968 forderten Kurt Marti, André Biéler, Max Geiger und andere Gesinnungsgenossen eine aktivere Form der Entwicklungspolitik. Sie verfassten ein Manifest über die Schweiz und die Entwicklungsländer. Die Unterzeichnenden der Erklärung von Bern verpflichteten sich, einen Teil ihres eigenen Einkommens in einen Fonds für die Entwicklungszusammenarbeit zu zahlen.

„rosa loui“ und die „Leichenreden“

Und der Lyriker Kurt Marti – was ist über ihn zu sagen, der weit über den Sprachraum seiner Heimatstadt Bern hinaus bekannt geworden ist mit seinen Gedichten in der Berner Umgangssprache „rosa loui“ oder mit seinen Leichenreden? Virtuos und leichfüßig ist er daher gekommen, spielerisch mit Worten und Bedeutungen jonglierend, prägnant und knapp und hat gleichzeitig aufgeräumt mit einer beschaulichen und nur auf Wohlgefälligkeit zielenden Verwendung der Berner Umgangssprache. 1964 fragte Sergius Golowin, der damalige Präsident des Berner Schriftstellervereins, Kurt Marti an, ob er einen Beitrag zur Verwendung der Berner Umgangssprache schreiben könne. Kurt Marti lieferte „Sechs Thesen aus dem Handgelenk zur Situation der Berndeutschen Mundartliteratur“.

Seine berühmte Hommage an den Dichter François Rabelais kommt mit zwei Zeilen aus: „D‘ schöni vo de wüeschte wörter isch e brunne i dr wüeschti vo de schöne wörter.“

Sein berühmtestes Gedicht in Berndeutsch „rosa loui“ zeigt sehr deutlich wie knapp er mit wenigen Wörtern verschiedene Stimmungen und Deutungen anstoßen kann. Er bewegt sich hier durchaus in der Tradition der modernen Poetik und auch der sprachlichen Spielereien eines Dadaismus. Dieses Gedicht ist für mich eine Liebeserklärung an seine Berner Umgangssprache, das „Bärndütsch“ aber auch an seine Berner Landschaft, aus der er kam:

rosa loui
so rosa
wie du rosa
bisch
so rosa
isch
kei loui süsch
o rosa loui
rosa lou
i wett
so rosa
wär ig ou

Mit diesem und ähnlichen Gedichten hat Kurt Marti eine ganze Generation von nachfolgenden Literaten wie Sergius Golowin, Ernst Eggimann, Walter Vogt, Guy Krneta und andere beeinflusst. Seine Wirkung hat aber auch in andere Kunstgattungen ausgestrahlt. So hat der Klarinettist und Komponist Heinz Holliger „rosa loui“ und andere Gedichte von Kurt Marti als Chorwerke vertont.

Warten auf den Tod

In seinen späten Jahren hatte Kurt Marti sehr unter dem Verlust seiner geliebten Ehefrau Hanni gelitten. Seine Gedichte dieser Zeit sind von einem sehr melancholischen Ton geprägt. Er hatte sich in ihnen auseinandergesetzt mit Themen der letzten Zeit auf Erden, Altersgebrechen, dem Fehlen der Geliebten, mit dem Warten auf den Tod. Enden möchte ich zum Schluss aber mit einem Berndeutschen Zitat aus einem seiner Texte und hoffe somit etwas beigetragen zu haben zur Erinnerung an diesen humorvollen und eigenwilligen Literaten und Pfarrer aus Bern.

Wo chiemte mir hi
wenn alli seite
wo chiemte mer hi
und niemer giengti
für einisch z’luege
wohi dass mer chiem
we me gieng.

Marc Haltmeyer

Quellen: Rita Jost, dem Phänomen Kurt Marti auf der Spur, im Journal B,
Klaus Bäumlin (Hg.), Kurt Marti, Sprachkünstler, Pfarrer, Freund, TVZ, 2020
Markus Niederhäuser, Jubiläumspredigt zu Kurt Marti www.nydeggkirche.refbern.ch,
Jan Straub, die Nydeggkirche in Bern und ihr Quartier, GSK
Kurt Marti, Alphornpalast, Prosa aus dem Nachlass, herausgegeben von Stefanie Leuenberger mit einem Nachwort von Franz Hohler, Göttingen, Wallstein, 2021, wikipedia zu Kurt Marti