Für politische Verantwortung in unserem Land
Nicht nur Parteienvertreter sondern auch Journalisten und Analytiker erwecken den Eindruck, als könnte eine neue Regierung alles anders machen nach dem biblischen Motto: „Das Alte ist vergangen, siehe ich mache alles neu.“ Ist es die Sehnsucht nach einer neuen messianischen Gestalt oder die Hoffnung auf ein Schlaraffenland, die sich bald schon erfüllen könnte, wenn nur die richtigen Männer ans Ruder kämen? Die Politik hat doch schon längst gegenüber der Macht der Konzerne kapituliert. Die neoliberale Ideologie gibt vor, was die Politik erfüllen muss und dann der Bevölkerung als Sachzwänge zu verkaufen bemüht ist. Es gibt für die Politik, selbst wenn der Wille da wäre, nur einen begrenzten Handlungsspielraum. Dafür hat ein neues Sündenbockdenken in einer Härte und Konzentration in unserem Land Einzug gehalten, das erschreckend ist.
Dieses Gedankengut ist nämlich nicht mehr nur an den Rändern zu finden, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Im hinter uns liegenden Wahlkampf wurde der Bevölkerung suggeriert, dass Flüchtlinge und Asylwerber an allem schuld wären, und nur wenn wir dieses Problem in den Griff bekämen, dann würde alles gut werden und Bürgerinnen und Bürger könnten einer rosigen Zukunft entgegensehen. Da wird den Menschen Sand in die Augen gestreut. Aber Achtung! Es kann sich schon etwas ändern, nicht an den Rahmenbedingungen, aber an der Art des Regierens. Anders als im Jahr 2000 würde das in Europa gar nicht besonders auffallen. Ungarn und Polen lassen grüßen. Sie sind noch immer Mitglieder der EU. Die Einschränkung von Grundrechten, Medienfreiheit und Gewaltentrennung, Eckpfeiler eines demokratischen Staatswesens, scheint die EU nicht sonderlich zu stören. Umso wichtiger, dass es die Zivilgesellschaft in unserem Land nicht so weit kommen lässt.
Es ist wirklich Zeit, nicht einfach abzuwarten, was die nächste Regierung bringt, sondern die Stimme zu erheben gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Es ist Zeit, darauf zu achten, dass Demokratie in Österreich nicht zu einer Worthülse verkommt, sondern auch gelebt wird – und das ist mehr als der Wille einer parlamentarisch abgesicherten Mehrheit. Wer schweigt, macht sich mitschuldig und braucht sich nicht zu wundern, wenn er eines Tages aufwacht – nicht im Schlaraffenland, aber dafür in einer illiberalen Demokratie, in der Grund-und Menschenrechte und die Menschenwürde jedes einzelnen Menschen nur noch einen untergeordneten Stellenwert haben. Beispiele dafür gibt es schon. Verhindern wir gemeinsam, dass das biblische Wort des Trostes und der Ermutigung Siehe ich mache alles neu! zu einer Drohung wird. Es ist Zeit. Jetzt!
THOMAS HENNEFELD
Zur Zeit des Redaktionsschlusses waren die Koalitionsverhandlungen in vollem Gang.
(Reformiertes Kirchenblatt 12/2017)