Entdecke Madiba in Dir.

Nelson Rohlihlala Mandela © regenbogennation.weebly

Zum 100. Geburtstag von Nelson Mandela

In aller Welt feierte man am 18. Juli den hundertsten Geburtstag des Freiheitskämpfers und Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela. „Entdecke Madiba in Dir“ war ein Motto, das die Nelson Mandela-Stiftung in Johannesburg für das Jubiläum vorgeschlagen hatte. In Wien fand die traditionelle Kulturwanderung zum Nelson Mandela-Platz im Entwicklungsgebiet Seestadt statt. Die Vereinten Nationen hatten vor einigen Jahren den 18. Juli zum Tag des Gedenkens an den 2013 verstorbenen südafrikanischen Politiker erklärt.

Widerstand gegen Apartheidregime

Zur Erinnerung: Nelson Rohlihlala Mandela wurde 1918 in einem Dorf in der Transkei, einer ländlichen Region im Osten Südafrikas, geboren. Als Angehöriger der Königsfamilie der amaThembu hatte er die Möglichkeit, die damals einzige höhere Bildungsstätte für Schwarze in Fort Hare zu besuchen. Als er sowohl mit der konservativen Schulleitung als auch mit dem heimatlichen Traditionalismus in Konflikt kam, flüchtete er 1941 nach Johannesburg. Er fand Anschluss an die Bürgerrechtsbewegung der diskriminierten Schwarzen, den Afrikanischen Nationalkongress (ANC), in dem er eine politische Rolle zu spielen begann. 1952 wurde er zum Vizepräsidenten der Organisation gewählt und engagierte sich in der sog Widerstandskampagne gegen die Verschärfung der Rassengesetze (seit 1948 regierte in Südafrika die Nationale Partei, eine Schwesterorganisation der NSDAP). Als der ANC und alle anderen Widerstandsorganisationen 1960 nach einem Massaker der Polizei an unbewaffneten Demonstrant/-inn/en verboten wurden, ging Mandela in den Untergrund. 1962 wurde er verhaftet, zwei Jahre später wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt. Während der mehr als 27 Jahre der Gefangenschaft, die er und seine Mithäftlinge in weitgehender Isolierung erst auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt, dann in Hochsicherheitsanstalten auf dem Festland verbrachten, regenerierte sich der Widerstand gegen die Rassendiktatur der sog. Apartheid. Insbesondere der Schüler/innenaufstand von Soweto leitete 1976 eine Periode der Instabilität in Südafrika ein; Massendemonstrationen und Streiks im Inneren des Landes, bewaffnete Aktionen des ANC aus dem Ausland sowie internationale Sanktionen gegen das Regime in Pretoria führten zu dessen Schwächung. Im Februar 1990 sahen sich die Machthaber zur Legalisierung aller verbotenen Organisationen, zur Freilassung Mandelas und zur Aufnahme von Verhandlungen über eine neue Verfassung gezwungen. Nach Überwindung vieler Schwierigkeiten, die nicht zuletzt dem Verhandlungsgeschick und dem Charisma Mandelas zu verdanken war, fanden im April 1994 die ersten freien Wahlen in der Geschichte Südafrikas statt. Am 10. Mai 1994 wurde Mandela in Pretoria als erster demokratischer Präsident des Landes angelobt.

Zeit für „Versöhnung“

Seine fünfjährige Amtszeit war gekennzeichnet einerseits durch eine Politik der Vergangenheitsbewältigung und einer „nationalen Versöhnung“ zwischen den bisher privilegierten Weißen und den diskriminierten Schwarzen, Farbigen und Indern, andererseits durch den Beginn tiefgreifender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Reformen, um die aus der Zeit des Kolonialismus und der Apartheid stammenden Wurzeln des Rassismus zu beseitigen. Auch wenn 1999, als Mandela die Präsidentschaft geordnet an seinen Nachfolger Thabo Mbeki weitergab, diesbezüglich noch vieles offengeblieben war, hatte sich Südafrika in den wenigen fünf Jahren gravierend verändert: Es hatte die wesentlichen ersten Schritte auf dem Weg in eine nicht-rassistische, offene Gesellschaft mit einer stabilen Demokratie, einer ausgebauten Sozialpolitik und einer auf Frieden, Entwicklung und Entspannung ausgerichteten Außenpolitik getan. Als einer der großen Menschenrechtskämpfer des 20. Jahrhunderts – wir erinnern uns im Gleichklang etwa an Mahatma Gandhi oder Martin Luther King – hat Nelson Mandela den Lauf der Weltgeschichte zum Besseren verändert. Das Gedenken an ihn ist aber weit mehr als eine verdiente Anerkennung für sein Lebenswerk. Man sollte auch daran erinnern, daß Mandelas Vision eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religionen oder unterschiedlichen Aussehens noch nicht eingelöst ist – in Südafrika nicht und weltweit schon gar nicht. Welche Sprengkraft würde beispielsweise eine „nationale Versöhnungspolitik“ von Juden und Palästinensern für die Neugestaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Nahen Osten entwickeln! Welche Konsequenzen würde die Absage an ethnische Diskriminierung für das Zusammenleben mit Kriegs-, Armuts- und Umweltflüchtlingen in Europa nach sich ziehen? Wie könnte eine Umverteilungspolitik im Geiste Mandelas das immer weiter auseinanderklaffende Wohlstandsgefälle zwischen Arm und Reich im Weltmaßstab (die sog. globale Apartheid) verringern? Das sind Fragen, mit denen uns „wir“ im verhältnismäßig wohlhabenden Norden dieser Erde aus Anlass des hundertsten Geburtstags Mandelas auseinandersetzen sollten.

Armut zu besiegen ist ein Akt der Gerechtigkeit

Doch auch in Südafrika ist das Vermächtnis „Madibas“ (wie Mandela freundschaftlich und ehrfürchtig zugleich genannt wurde) noch keineswegs eingelöst. Zwar hat sich seit 1994 eine breite schwarze Mittelschicht gebildet, doch immer noch lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung in Armut. Gleichzeitig ist der Reichtum einer Minderheit – die hauptsächlich aus Weißen sowie aus wenigen Schwarzen besteht – im Einklang mit internationalen Trends gestiegen, sodass Südafrika nach wie vor zu jenen Staaten gehört, in denen die soziale Ungleichheit am größten ist. Eine Bereitschaft der Wohlhabenden, den aufgrund jahrhundertelanger Unterdrückung zustande gekommenen Reichtum mit den Armen zu teilen, ist derzeit nicht absehbar. Von vielen Weißen – die den weitgehend unblutig verlaufenen Übergang zur Demokratie mit Erleichterung zur Kenntnis nahmen – wurde Mandelas Versöhnungspolitik vielmehr als Freibrief missverstanden, ihre wirtschaftlichen Privilegien zu erhalten. Seine mit Augenmaß begonnene Landreform oder die Ansätze zu einer umverteilenden Steuerpolitik stagnierten nach einem erfolgreichen Anfang. Nachteilige Handelsverträge mit der Europäischen Union und eine allzu rasche Öffnung der Volkswirtschaft haben zu Kapitalflucht und Globalisierungsschocks geführt, in deren Folge sich die Arbeitslosigkeit nicht verringert hat. Eine Folge der anhaltenden Armut ist verbreitete Korruption, welche die Umsetzungskapazität der staatlichen Verwaltung schwächt. Unzufriedenheit und Radikalisierung sind daher verbreitet und werden durch linke wie rechte Populisten noch angeheizt.

Die Errungenschaften der Ära Mandela zu erhalten und gleichzeitig die liegengebliebenen Reformen durchzuführen, ist fast eine Quadratur des Kreises. Cyril Ramaphosa, der seit wenigen Monaten regierende neue Staatspräsident, ist mit dieser Mammutaufgabe konfrontiert. Mandela, 2013 verstorben, steht als Ratgeber dafür nicht zur Verfügung. Wohl aber sind seine Grundsätze geblieben, zum Beispiel: „Die Armut zu besiegen, ist keine Sache von Wohltätigkeit, sondern ein Akt der Gerechtigkeit.“

WALTER SAUER
Univ. Prof. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
an der Uni Wien