Wählen aus Prinzip

Matthias Freudenberg/Aleida Siller. Emder Synode 1571, Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne. V&R Verlag 2020
Matthias Freudenberg/Aleida Siller. Emder Synode 1571, Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne. V&R Verlag 2020

Eingeladen mitzugestalten

Wer sich als Teil der Kirche sieht, ist eingeladen, sie auch mitzugestalten! So lautet ein grundlegendes Prinzip unserer evangelischen Kirchen, nicht nur in Österreich. 2023 ist in vielen Gemeinden ein Wahljahr. In unsere Gemeindevertretungen, Presbyterien und in viele weitere Gremien und Arbeitsbereiche werden ehrenamtlich engagierte Menschen gewählt. Erstmals sind aktiv alle ab 14 Jahren eingeladen zu wählen. Und erstmals sind auch alle aktiv wählbar in die Gemeindevertretung, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Seit dem Bestehen der reformatorischen Kirchen schenken unzählige Menschen einen Teil ihrer wertvollen Zeit dem Funktionieren und der Lebendigkeit ihrer Gemeinde und Kirche.

Gemeinde als Keimzelle von Kirche

Vor mehr als 450 Jahren wurde auf einer Synode in Emden (4.–13. Oktober 1571) die heute bei uns noch vorherrschende Struktur des synodalen und presbyterialen Prinzips festgeschrieben. Zu dieser Synode 1571 im ostfriesischen Emden kamen Abgesandte von verfolgten Gemeinden in den Niederlanden und aus den flämischen und wallonischen Flüchtlingsgemeinden, die sich am Niederrhein, in Ostfriesland und in der Pfalz angesiedelt hatten. Aufgrund der Verfolgungssituation galt der Grundsatz: Alle Gemeinden organisieren ihr kirchliches Leben selbstverantwortlich. Die Kirche (ecclesia) soll sich von ihren Mitgliedern her und den Gemeinden her bilden. Jede Form von Obrigkeitsdenken wurde verworfen. Man hat damals bereits einen gestuften Aufbau entwickelt, mit den Gemeinden als Keimzellen, die sich durch ein gewähltes Presbyterium verwalten und sich in der Zusammenkunft in der „Classis“ als Versammlung mehrerer Gemeinden vor Ort zusammen schließen. Der „Classis“ etwa entsprechen in der Evangelischen Kirche H. B. in Österreich die Verbände H.B. in Wien und in Vorarlberg. Diese „Classis“ kamen wiederum zum Austausch und zur Beratung und zur gegenseitigen Unterstützung in „Provinzsynoden“ zusammen. Überregional und auch über Ländergrenzen hinweg traf man sich bei der „Generalsynode“, um all das zu besprechen, was vor Ort nicht geregelt werden konnte und um sich zu unterstützen.

Subsidiarität und Autonomie

Dieses System von Kirche und deren Mitgliederbasis findet sich bei evangelischen Kirchen in vielen Ländern auch heute noch und stellt im Verständnis von „Kirche“ einen wesentlichen Unterschied zur römisch-katholischen Kirche und zu den orthodoxen Kirchen dar. Nach dem Prinzip der Subsidiarität, wird der nächst übergeordneten Entscheidungsebene nur vorgelegt, was vor Ort in den Gemeinden oder den „Classis“ nicht entschieden werden kann.

Erster Abschnitt der Akten der Synode in Emden 1571

„Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone Vorrang haben oder Herrschaft beanspruchen. Sie sollen lieber dem geringsten Verdacht und jeder Gelegenheit dazu aus dem Weg gehen.“

Reformierte Kirche ist Gemeindekirche

Das reformierte Verständnis von Kirche versteht sich von der Basis her als die von Jesus Christus versammelte, beschützte und erhaltene Gemeinde. (siehe auch Heidelberger Katechismus Frage 54) Die reformatorische Bewegung wird stark durch die Auffassung von der Gemeinde als Bereich, in dem Christinnen und Christen ihr Glaubensleben gestalten, geprägt. Die Kirche Jesu Christi zeichnet sich nicht vorrangig durch Riten, Ordnungen, Zeremonien, Grade der Weihe und Frömmigkeit oder moralische Leistungen der Mitglieder aus. Kirche ist allein durch das Heilshandeln Jesu Christi, zeichenhaft in Taufe und Abendmahl, und in den Zeichen von Versöhnung und der Predigt von Gottes Wort tätig. Eine hierarchische Struktur mit Ämtern und Ordnungen, in denen sich Macht und Herrschaft über andere ausbildet, ist abzulehnen, wird auf der Synode in Emden festgehalten. Innerhalb des Christentums dürfe es keine unterschiedlichen Ränge geben. Kirche gründet sich auf die Predigt von Gottes Wort und auf die Gemeinschaft von Christinnen und Christen und nicht auf einen Klerus oder Institutionen.

auserwählt, gewählt, berufen, beauftragt

Johannes Calvin macht öfters deutlich, dass die gesamte Gemeinde und deren Mitglieder zum Dienst beauftragt und befähigt und von Gott her gesandt sind, um ihre unterschiedlichen Gaben einzubringen. Vielfältige unterschiedliche Töne bringen in der Musik und in einer Gemeinde eine wohlklingende Melodie zusammen. Durch Wahlen wird in diesem Jahr in österreichischen Gemeinden unserer Kirche Einzelnen und gremialen Gruppen Verantwortung in den Belangen der Kirche und der Gemeinden übertragen. Und es zählt zu den Aufgaben aller Christinnen und Christen, das Evangelium, die Frohe Botschaft, zu verkündigen und über die Ziele für die Kirche zu entscheiden.

„Alle sind eingeladen, sich mit der eigenen Lebenserfahrung und den Kompetenzen einzubringen!“

Harald Kluge

Wahltermine in den Gemeinden der Reformierten Kirche in Österreich

Wien – Süd „Erlöserkirche“ 14 & 18. Mai 2023
Wien – Innere Stadt „Reformierte Stadtkirche“ 10. & 17. September 2023
Bludenz 1. & 8. Oktober 2023
Wien -West „Zwinglikirche“ 7. & 8. Oktober 2023
Feldkirch 15. & 22. Oktober 2023
Oberwart 15. & 22.Oktober 2023
Linz – Leonding 5. November 2023
Dornbirn „Heilandskirche“ 14. & 21. April 2024
Bregenz „Kirche am Ölrain“ Wahljahr 2027

Lektüre Empfehlung dazu: Matthias Freudenberg/Aleida Siller. Emder Synode 1571, Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne.
VR Verlag 2020