Die reformierte Kirche von Mardin in der Türkei

Blick auf mesopotamische Ebene (Foto: Angelo Comino)

Mesopotamische Reformierte überleben dank ökumenischer Anstrengungen

Im türkischen Teil von Mesopotamien, rund 20 km nördlich von der syrischen Grenze und unweit vom Tigris liegt die Stadt Mardin. Die Altstadt mit der charakteristischen artukidischen Architektur stützt sich auf den südlichen Hang eines steilen und strategisch wichtigen Hügels. Über der Altstadt ragt die historische hamdanidische Burg, die seit einigen Jahren vom türkischen Militär besetzt ist und nicht besucht werden kann. Im Norden und im Osten erhebt sich das Kalksteingebirge Tur Abdin (syrisch-aramäisch für „Berg der Knechte Gottes“) mit seinen zahlreichen Klosteranlagen der syrisch-orthodoxen Kirche. Eine lange Hauptstraße durchquert die Altstadt von Mardin von Osten nach Westen: Geschäfte, Museen, Restaurants, Kirchen und Moscheen reihen sich aneinander. Von der Hauptstraße aus kann man auf beiden Seiten den engen Mäander von Häusern betreten, die so treppenartig aneinandergebaut sind, dass die Terrasse des einen auch gleichzeitig das Dach des darunterliegenden Nachbarn ist. Aber die wirkliche Besonderheit von Mardin – und der nahen kleineren Stadt Midyat – ist die multiethnische und multireligiöse Zusammensetzung der Bevölkerung. Heutzutage leben in der Altstadt Kurd:innen, Türk:innen und Araber:innen sowie aramäisch-sprachige Christ:innen, die in der ganzen Türkei als hervorragende Goldschmiede oder Weinbauern bekannt sind.

Die Verfolgung von Christ:innen

Die mardinische Altstadt ist übersät mit Kirchenbauten und die Vielfalt sucht ihresgleichen: syrisch-orthodox, syrisch-katholisch, chaldäisch-katholisch, armenisch-apostolisch, armenisch-katholisch und evangelisch-reformiert. Die armenischen Kirchen sind leider dauerhaft geschlossen. Obwohl Mardin von den Massakern an Christ:innen, die 1865 in den umliegenden Städten und Dörfern stattfanden, verschont blieb, fielen die Armenier dem Genozid von 1915 zum Opfer, der trotz der Anstrengungen der örtlichen muslimischen Behörden auch die christlichen Aramäer und Araber der Stadt dezimierte. Heutzutage gehört die Mehrheit der Christ:innen von Mardin der syrisch-orthodoxen Kirche an, deren Patriarch von 1034 bis 1924 im nahe gelegenen Kloster Deir az-Zafaran seinen Sitz hatte. Ihre Mitglieder sprechen untereinander immer noch das Aramäische, eine mit dem Hebräischen und Arabischen verwandte Sprache, das gelegentlich neben dem Türkischen und Kurdischen auf Straßenschildern zu lesen ist und in der örtlichen Universität studiert werden kann.


Religiöse Vielfalt: Jesidischer Glaube, Judentum, Christentum, Islam

Reformierte Missionen im osmanischen Reich

Am Ende des 19. Jh. wurde das osmanische Reich das Ziel von unterschiedlichen evangelischen und katholischen missionarischen Bestrebungen. Obwohl anfänglich die Konversion von Muslim:innen (und in einigen Kreisen von Jüd:innen) auf der Agenda stand, gewann man mit der Zeit die meisten Konvertiten aus der ansässigen orthodoxen Bevölkerung – sehr zum Missfallen der örtlichen Geistlichkeit. Die erhofften Erfolge der reformierten Missionsgesellschaften blieben aus und man rechnet, dass 1908 die Anzahl der Konvertiten ca. 30.000 betrug. Die türkische Regierung wachte über die Missionierung mit einer gewissen Nonchalance, solange diese die Christ:innen betraf: Im Großen und Ganzen war sie über die Uneinigkeit und den Zwist unter den christlichen Untertanen erfreut und gewährte sogar trotz des Widerstandes der Orthodoxie den armenischen Protestanten einen offiziellen Sonderstatus. Nichtsdestotrotz ist den Missionaren aus dem Westen zugutezuhalten, dass sie innerhalb von Jahrzehnten auch in abgelegensten Orten Kirchen samt Krankenhäusern und Schulen gründeten.

Der ostanatolische Zweig der amerikanischen reformierten Auslandsmissionsgesellschaft, des American Board of Commissioners for Foreign Missions (ABCFM), erfasste die Städte Harput, Malatya, Diyarbakir, Mardin, Bitlis, Van und Erzurum; in ihrem Gebiet errichteten sie unter anderem 90 Schulen, in denen 4.531 Buben und Mädchen unterrichtet wurden. 1858 begann die Mission in Mardin, die hauptsächlich aus aramäischen Familien bestand. Bald darauf wurden nicht nur das Kirchengebäude erbaut, sondern auch ein Krankenhaus, ein Waisenheim, ein theologisches Seminar, das auch von Frauen besucht wurde, und eine Grundschule errichtet. Die Unterrichtssprache des Seminars und der Grundschule war Arabisch, die Vernakularsprache der aramäischen Bevölkerung. Im Juni 1868 kam der amerikanische Missionar Alphaeus N. Andrus (1843–1919) nach Mardin und wirkte fünfzig Jahre lang in der Stadt. Seine zweite Ehefrau, Olive Parmalee (1840–1916), gründete die einzige arabischsprachige Mädchenschule der Türkei.

Gegenwart und Ökumene

Nach den politischen Unruhen von 1971 unterbrach der ABCFM die Finanzierung der Mission. Die Protestant:innen in Mardin betrachtete man aufgrund der amerikanischen Verbindung mit Argwohn und die kleine Herde hielt dem Druck nicht stand. Wer nicht auswanderte, kehrte zur syrisch-orthodoxen Kirche zurück, unter deren Verwaltung das Kirchengebäude gestellt wurde. Das L-förmige Gotteshaus, das inmitten der Altstadt steht und Platz für 50 Personen bietet, wurde dem Verfall preisgegeben. Als die evangelischen Kirchen in den umliegenden Städten das Kirchengebäude wieder verwenden wollten, weigerte sich zunächst die syrische Kirche, es zurückzugeben aus der historisch erwachsenen Angst, man würde wieder unter den Orthodoxen nach Proselyten suchen. Es ist dem jahrelangen diplomatischen Geschick und dem ökumenischen Feingefühl des kurdischsprachigen Pastors zu verdanken, dass letztendlich eine Einigung gefunden und das Gebäude den Evangelischen überschrieben wurde. Die evangelische Pfarrei darf demnach nur die kleine Anzahl der übriggebliebenen Protestant:innen und die ausländischen Tourist:innen betreuen. Der Pastor sieht auch seine Aufgabe darin, die Vorurteile der muslimischen Besucher:innen zu zerstreuen: Bei einer Tasse Kaffee oder Tee erklärt er geduldig, woran Christ:innen wirklich glauben, und verteilt bei Interesse auch kostenlose türkische oder kurdische Übersetzungen des Neuen Testaments. Inzwischen haben sich auch die Beziehungen zur syrischen Kirche gebessert: Der Wiederaufbau der evangelischen Gemeinde in Mardin kann als ein geglücktes Zeichen der Versöhnung zwischen Protestantismus und Orthodoxie gewertet werden.

Angelo Comino

Fotos: Angelo Comino