„Chatbot“ & KI und die Frage nach dem Menschen und nach Gott

Foto: „Morgan Turing“ Bild von MorgstheBot, by ChatGPT v3.5 (2023), wikimedia

Die Plattform Open AI hat vor kurzem den „Chatbot“ freigeschaltet. Aber wird damit auch das Bild von uns Menschen und dem Menschsein an sich auf neue Weise in Frage gestellt? Ein Interview.

Matthias Braun lehrt Systematische Theologie und Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität in Bonn und wurde von Johanna Di Blasio in einem Interview auf reflab.ch dazu befragt.

Di Blasio: Wenn wir sehen, dass diese KI (künstliche Intelligenz = AI) immer stärker wird, könnte das am Ende „Gott“ ablösen?

Matthias Braun: Der Mensch darf sich angenommen und gerechtfertigt wissen gegenüber Gott. Wie kann eine Gestaltung von Lebensformen mittels Technik aussehen? Das müssen wir uns fragen.

DB: Wenn die Maschinen immer mehr Dinge können und das auch um ein Vielfaches besser, wird dann unser Gottesbild nicht immer mehr auch maschinell gedacht?

MB: Wesentliche Merkmale eines christlichen Gottesbildes fußen darauf, dass Gott unser Schöpfer ist und sich auch klein gemacht hat, seine Verletzlichkeit gezeigt hat und mit den Menschen mitleidet. Anders als das antike Gottesbild, das Götter als mit omnipotenten Kräften ausgestattet gedacht hat. Der christliche Gott hat sich selber vulnerabel gemacht. Durch ChatGPT sind wir herausgefordert darüber nachzudenken, was ist typisch menschlich und worauf gründet sich unser Gottesbild. Ich nutze solche Languagemodelle wie GPTIII (Chatbot) als ein Sprachmodell. Es ist eine Ansammlung von Daten, in denen ein Algorithmus Muster bildet, die nach Regelungen durchforstet werden können. Es kann aber immer nur das wiedergeben, was andere bereits gesprochen und geschrieben haben. Da entsteht nichts Neues, aber es lässt sich super für die Recherche nutzen. Die Bewertung von Antworten und die Frage des Urteils kann mir dieses Programm nicht abnehmen.

DB: Kann KI eine Form von Bewusstsein entwickeln?

MB: Diese Systeme haben keine Emotionen und keine Form von Selbstreflexion. Wichtiger sind die Fragen der Gestaltung: Wie wollen wir mit diesen Systemen verantwortlich umgehen, gerade in Blick auf die Verletzlichkeit des menschlichen Lebens? Wir dürfen in der Faszination und Bewunderung gegenüber den neuen Systemen die Verantwortlichkeit nicht anderen wenigen Informierten überlassen. Es gibt wichtige offene Fragen der Lebensgestaltung und der rechtlichen Eingrenzung in Blick auf diese Systeme künstlicher Intelligenz.

DB: Ist der Umgang mit KI wie eine Art „playground“, ein „Spielplatz“ oder gibt es hier Gefahren?

MB: Schüler*innen und Studierenden sollten die Kompetenzen beigebracht werden, um dieses System gut nutzen zu können. Man sollte es und kann es ja auch nicht verbieten. In den Systemen der AI sind bestimmte soziale Normen und Erwartungen eingeschrieben. So kann ChatGPT kein schönes Gedicht über Donald Trump schreiben, aber liefert eines für Joe Biden. Es sind vor allem konservative Weltanschauungen, die hier zugrunde liegen und es ist sehr stark westlich und nördlich geprägt mit einer Europa- und USA-Zentrierung. ChatGPT hält uns einen Spiegel vor, davon was im Internet als Normen angesehen wird. Die technischen Systeme dahinter sind eben gerade nicht neutral. Bei Themenbereichen wie Homosexualität, bei Flüchtlingsfragen, auch im Religiösen zeigt sich die Ablehnung und die Verbreitung gewisser Ansichten. So zeigen sich Vorbehalte gegenüber dem Katholischen und eine größere Offenheit gegenüber dem Evangelischen und Protestantischen.

Hinsichtlich der Ebenbildlichkeit Gottes (Imago Dei) antworte ich mit der Würde des Menschen. In der christlichen Auffassung sind wir verletzliche Geschöpfe und immer von Gott Angesprochene. Unser Leben steht immer in Relation zu anderen. KI-Systeme werden genutzt, um Menschen in ihrer Selbstbestimmung einzuschränken, sie zu überwachen, zu kontrollieren.

DB: Die Southern Baptist Convention (größte protestantische Konfession in den USA) hat ethische Leitlinien zu AI verfasst. Wird diese Frage der Verantwortung dieser neuen Technologie auch bei uns in Europa gestellt?

MB: Wir müssen uns fragen, was sollen in einem politischen Raum und auch in Blick auf globale Regionen die Spielregeln im Umgang mit der AI sein? Wie können wir eine Gesetzgebung für KI schaffen? Welche Regeln brauchen wir? Die Theologie hinkt hier sehr hinten nach. Dietrich Bonhoeffer sieht etwa als eine Kernaufgabe der christlichen Ethik die Wegbereitung – kühn, nicht verzagt zu sein angesichts der Herausforderungen, und das verletzliche Leben in seiner Verletzlichkeit zu achten und zu beachten. Das Optimieren des menschlichen Verhaltens dürfe nicht das alleinige Ziel sein. In der Debatte zum AI-Act (Gesetz zur KI) in der EU sind die Kirchen auffällig still. Wie wollen wir uns konkret in die Gestaltung dieser Regeln einbringen? Dazu müssen wir diese Systeme auch verstehen.

DB: Wie kann die Theologie mit den Begriffen einer Superhuman-Intelligence umgehen?

MB: Eine solche Superhuman-Intelligence wird sich nicht entwickeln. Menschen bauen diese Systeme und daher haben wir immer die Chance der Gestaltung. Theologie als wissenschaftliche Disziplin kann mit ihren verschiedenen Methoden auch an diese Fragen zur AI herangehen. Verändert es den Glauben von Menschen, wenn ein Roboter uns segnet und nicht mehr eine Pfarrerin eine Predigt hält? Es geht auch um die Interaktion zwischen zwei Menschen, wenn Segen zugesprochen wird. Der Roboter kann keine Atmosphäre im Raum schaffen. Emotional sind wir jedoch bereits eingefangen, wenn wir häufig am Tag das Smartphone zur Hand nehmen. Da hat sich eine emotionale Verbindung zu einem technischen Gegenstand gebildet. Auch Suchmaschinen sind bereits im Alltag angekommen. Wenn aus einem Computer eine Stimme spricht: „Ich liebe dich!“, hängt das von der aktuellen Lage des Angesprochenen ab, ob man sich verfolgt oder geschmeichelt fühlen wird. Zentral bleibt die Frage: Wie können wir einen gesünderen Umgang mit Technik entwickeln und einüben?“ In dem Moment, wo wir etwa als Brillenträger*in die Brille abnehmen, sehen wir die Welt anders. Wenn ein Mensch eine Prothese hat, wird diese zu einem Teil des Körpers. Und wenn wir das Smartphone nicht verwenden, ist das ähnlich. Dann ist die Trennung zwischen mir und dem fremden technischen Teil gar nicht so starr.

Neben all der Skepsis braucht es auch die Kühnheit. Wir müssen in der Theologie auch die Hoffnungsperspektiven und Gestaltungsperspektiven aufzeigen. Nicht aus einer Verzagtheit heraus, sondern von einem starken Glauben aus, dass wir als Christ*innen hier auch einen Auftrag haben, Lebensformen so zu gestalten, dass sie die Vielheit und Verletzlichkeit menschlichen Lebens abbilden und gestaltbar machen.

Auszüge aus dem Interview mit dem Ethiker der künstlichen Intelligenz Matthias Braun aus Bonn. Geführt am 1. April 2023 auf reflab.ch im THEOLOUNGE – Podcast für Religion und Zeitfragen.

Red.

Eine Reihe von KI-Expert:innen und Tech-Grössen sind jetzt in die Öffentlichkeit gegangen, darunter Elon Musk. Sie fordern ein Moratorium für ChatGPT und Co. In einem offenen Brief verlangen tausende Unterzeichner einen sofortigen Entwicklungsstopp für leistungsfähige KI-Modelle. Während einer zunächst sechsmonatigen Entwicklungspause sollten ethische Fragen geklärt und Sicherheitsprotokolle für KI-Systeme entwickelt und von unabhängigen Expertinnen und Experten geprüft.