Zum 100. Geburtstag der Widerstandskämpferin Sophie Scholl

Denkmal für Hans und Sophie Scholl und die Widerstandsbewegung „Weiße Rose“ gegen das NS-Regime vor der Ludwig-Maximilians-Universität München.

„Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen“

Am 9. Mai dieses Jahres wäre Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. Am 22. Februar 1943 wurde sie nach kurzem Prozess als Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung im Strafgefängnis München-Stadelheim enthauptet.

Von der Nazi-Sympathisantin zur Widerstandskämpferin

Sophie Scholl war nicht die geborene Widerstandskämpferin. Sie wuchs mit ihren Geschwistern in einem bürgerlich-christlich-liberalen Elternhaus in Baden-Württemberg auf. Die Mutter war evangelische Diakonisse. Trotz der christlich-humanistischen Erziehung fand sie Gefallen am Gemeinschaftsideal der Nationalsozialisten. Schon als Jugendliche, sie lebte damals in Ulm, übernahm sie Leitungsaufgaben im BDM (Bund Deutscher Mädels). Sie liebte das Leben in der Natur, körperliche Ertüchtigung, sportliche Wettkämpfe und Mutproben.

Erst allmählich nahm die junge Frau die menschenverachtende Ideologie des NS-Regimes wahr. Nach der Reifeprüfung ließ sie sich zur Kindergärtnerin ausbilden und arbeitete auch als Pädagogin in einer evangelischen Einrichtung. 1941 wurde sie zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, wo versucht wurde, jungen Frauen die Nazi-Ideologie einzutrichtern. Bei Sophie Scholl führte die Indoktrinierung zum gegenteiligen Effekt. Dazu kamen Berichte aus dem Freundeskreis ihres Bruders über Massenmorde an der Ostfront. Je länger der Krieg dauerte, um so erbitterter wurde ihre Gegnerschaft zum NS-Regime. Im Frühjahr 1942 begann Sophie Scholl das Studium der Philosophie und der Biologie in München. Über ihren Bruder, der eine ähnliche Entwicklung wie sie selbst durchlief, kam sie in Kontakt mit der kleinen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“.

Die Haupttätigkeit der Organisation bestand darin, Flugblätter mit regimefeindlichem Inhalt zu verfassen und diese anfangs nur in München, später im ganzen Deutschen Reich, zu verbreiten. Ihr Bruder wollte sie aus dieser gefährlichen Tätigkeit heraushalten, sie beharrte aber auf ihrer Teilnahme. Insgesamt wurden zwischen Sommer 1942 und Februar 1943 sechs Flugblätter fabriziert, an zahlreichen öffentlichen Orten ausgelegt und auch verschickt. Bei der Verteilung des sechsten Flugblattes wurde Sophie Scholl ertappt und sofort verhaftet. Wenige Tage später wurden sie und ihre Mitstreiter, darunter auch ihr Bruder Hans, hingerichtet.

Christlicher Glaube und politisches Engagement

Der christliche Glaube spielte bei allen Gruppenmitgliedern, so auch bei Sophie Scholl, eine wesentliche Rolle. Das vierte Flugblatt endete mit den Worten: „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe.“ Sophies Leitsatz war, wie sie einmal in einem Brief schrieb: „Einen harten Geist und ein weiches Herz solle man haben“. Noch zwei Tage vor ihrer Verhaftung sagte Sophie Scholl: „Es fallen so viele Menschen für dieses Regime. Es wird Zeit, dass jemand dagegen fällt“. Nach ihrer Verhaftung versuchte sie im Verhör alle Schuld auf sich zu nehmen, um ihren Bruder zu retten, was aber misslang. Zu keinem Zeitpunkt bereute sie ihre Taten. Sie war bereit, die Konsequenzen dafür zu tragen. Diese Haltung beeindruckte den SS-Kriminalbeamten Robert Mohr, der Sophie Scholl vernahm, nachhaltig. Später notierte Mohr: „Ich kann nur wiederholen, dass dieses Mädel, wie auch ihr Bruder, eine Haltung bewahrt hat, die sich nur erklären lässt mit Charakterstärke, ausgeprägter Geschwisterliebe und einer selten tiefen Gläubigkeit“.

Ähnliches konstatierte der Scharfrichter Johann Reichhart. Er sagte später, dass er noch nie jemanden gesehen habe, der so tapfer war wie Sophie Scholl. Scholls Einsatz gegen himmelschreiendes Unrecht wurzelte in der Verbindung von christlichem Zeugnis und politischem Widerstand. In ihr wuchs eine prophetisch-politische Spiritualität.

Ihr Glaube war keine Vertröstung, sondern Anleitung, um aktiv ins Zeitgeschehen einzugreifen. Sie kämpfte gegen dämonische Mächte mit Worten und Taten, und sie gab ihr Leben hin, um verängstigte und erstarrte Seelen aufzurütteln und zum Handeln zu bewegen. Scheinbar war das alles vergeblich. Aber immerhin: Im Juli 1943 wurden tausende Exemplare des sechsten und letzten Flugblattes unter dem Titel: „Ein deutsches Flugblatt“ aus den Flugzeugen der Alliierten über Deutschland abgeworfen.

THOMAS HENNEFELD