Was dem Leben und dem Frieden dient

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Seit dem Beginn der Pandemie und erst recht seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar ist unser Leben noch unberechenbarer geworden. Das gilt auch für das Reformierte Kirchenblatt. Denn es ist völlig ungewiss, ob das, was ich hier schreibe, beim Erscheinen des Blattes nicht schon überholt sein wird.

Zwischen Ende Februar und Anfang Mai (Red.-Schluss) führte Präsident Putin und der Kreml einen brutalen und rücksichtslosen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ukrainische Städte wurden mit Raketen beschossen und bombardiert, manche Städte wurden teilweise zerstört, andere in Schutt und Asche gelegt. Tausende Zivilisten wurden dabei verletzt oder getötet. Von russischen Soldaten wurden schwere Kriegsverbrechen begangen, und Millionen Menschen wurden zur Flucht gezwungen. Gleichzeitig entbrannte ein Wirtschaftskrieg zwischen Russland und dem Westen. Der Westen verhängte drakonische Sanktionen, Russland drohte mit dem Stopp der Gaslieferungen. Der Westen lieferte eine Unmenge an Waffen in die Ukraine und führte damit eine Art Stellvertreterkrieg gegen Russland. Präsident Putin drohte seinerseits indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen, sollte er die Sicherheit seines Landes gefährdet sehen. Finnland und Schweden überlegten einen NATO-Beitritt, was die geopolitische Lage noch gefährlicher machen könnte.

Die Kirchen, ökumenische Organisationen, so auch der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich, konfessionelle Weltbünde und andere Religionsgemeinschaften rufen seit dem Beginn des Krieges zu einem Ende der Kämpfe und zu ernsthaften Friedensgesprächen auf, in Gebeten, Gottesdiensten, Kundgebungen und Stellungnahmen. Die Spirale der Gewalt muss durchbrochen werden. Es gibt keine einfachen Lösungen, aber eine klare Orientierung auf dem Hintergrund gemeinsamer christlicher Grundlagen.

Friedensbemühungen

Es hat den Anschein, als setzten alle Parteien hauptsächlich auf militärische Gewalt und auf Drohungen. Wenn nur die Hälfte von dem, was in Militär investiert wird, der aktiven, zivilen Friedensforschung und der Konfliktbewältigung zugute käme, würde die Welt vielleicht anders aussehen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Friedensverhandlungen erst dann beginnen, wenn die Tragödie schon ihren Lauf nimmt und niemand mehr auf dem Schlachtfeld etwas gewinnen kann. Das ist ein zynisches Spiel auf dem Rücken von Millionen von Menschen, die den Panzern, Bomben und Raketen hilflos ausgeliefert sind. Jede Gelegenheit sollte ergriffen werden, um die Waffen zum Schweigen zu bringen und diplomatische Initiativen zu setzen.

1. Gesten der Versöhnung statt Schüren von Hass

Es ist verständlich, dass jene, denen Grauenvolles angetan wird, nichts von Versöhnung wissen wollen und im Anderen nur den Feind sehen. Aber dieser Krieg, wie die meisten Kriege, ist kein Krieg der Völker. Es ist zwar nachvollziehbar, dass Menschen, die sich in Kriegspropaganda einspannen lassen, boykottiert und ausgeschlossen werden. Es ist aber völlig abzulehnen, dass Aktionen kritisiert oder gar verurteilt werden, bei denen russische und ukrainische Menschen gemeinsam gegen den Krieg und für Versöhnung eintreten, wie dies in der Karwoche geschehen ist. Eine russische und eine ukrainische Krankenschwester trugen auf dem Kreuzweg in Rom gemeinsam das Kreuz, ein unheimlich starkes Zeichen, das aber auch Proteste seitens der ukrainischen Regierung hervorrief. Dabei bräuchte die Welt viel mehr diese mutigen Gesten über die Gräben verfeindeter Gruppen hinweg.

2. Ende der Atomtechnik

Die Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen machen einmal mehr deutlich, dass das, was die Friedensbewegung seit Jahrzehnten fordert, endlich umgesetzt wird: nämlich die Vernichtung aller Nuklearwaffen auf diesem Planeten anstelle ständig mit der Gefahr der Vernichtung der Menschheit und allen Lebens auf der Erde leben zu müssen. Aber auch die friedliche Nutzung von Atomenergie birgt gewaltige Risken durch Unfälle oder gezielte Angriffe auf Atomkraftwerke.

3. Klimaschutz vorantreiben

Die Pandemie und der Krieg in Europa haben Stimmen laut werden lassen, die Klimaschutzmaßnahmen zu verschieben, weil es jetzt Wichtigeres gebe. Es hat sich anscheinend noch nicht herumgesprochen, dass weder ein Virus noch das Klima mit sich verhandeln lassen. Der Klimawandel schreitet voran, die Erderwärmung ebenso, niemand weiß, wann der Punkt erreicht ist, an dem es kein Zurück mehr gibt. Es muss alles dazu getan werden, um den Klimawandel zu bremsen. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass dieser grausame Angriffskrieg die Politik dazu veranlasst, rascher aus fossilen Energieträgern herauszukommen als dies der Klimawandel erfordert, der noch verheerendere Konsequenzen haben kann als dieser schreckliche Krieg.

4. Demokratie stärken

Ein besonders verlogener Aspekt in diesem Krieg ist die von der Ukraine und vom Westen gebetsmühlenartig ausgerufene Parole von einem Kampf eines blutrünstigen Diktators gegen die freie Welt. Russland entwickelte sich in den letzten Jahren tatsächlich zu einem autoritären, ja halb totalitären System – was übrigens den Westen bis vor kurzem nicht wirklich störte, weil ja gute Geschäfte gemacht wurden. Wo Öl und Gas fließen, fragen Regierende selten nach Menschenrechten. Und so frei und demokratisch ist weder die Ukraine noch der Westen. Die Ukraine hat schon vor Beginn des Krieges die Meinungsfreiheit eingeschränkt und bestimmte Parteien verboten. Sie ist ein zutiefst korruptes Land und die Regierung diskriminiert Minderheiten, wie zum Beispiel die ungarische Minderheit in der Westukraine, wovon auch unsere reformierte Schwesterkirche betroffen ist. Die Europäische Union hat mit Mitgliedern zu kämpfen, die Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt haben. Und in der größten Demokratie der Welt hätte beinahe ein machtgieriger Egomane einen Putsch veranstaltet und Demokratie und Freiheit beseitigt.

Das Eintreten für Demokratie, Meinungsfreiheit, Mitbestimmung und für eine offene Gesellschaft ist nur dann glaubwürdig, wenn es ernst gemeint ist und nicht nur dem Kampf gegen einen Feind dient.
Bei all dem Entsetzen, der Fassungslosigkeit und der Angst vor einer Eskalation des Konfliktes sollte an oberster Stelle das stehen, was dem Frieden und dem Leben dient, einer neuen Friedensordnung, bei der das Recht als solches und nicht das Recht des Stärkeren gilt. Sowie zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung führt angesichts des lebensbedrohlichen Klimawandels, der nicht wartet, bis ein Krieg zu Ende oder ein Virus verschwunden ist. Das geschieht weder durch Hochrüstung noch durch die Schaffung immer neuer Feindbilder oder der Vorstellung, im Atomzeitalter eine Atommacht niederringen zu können. Ob es uns passt oder nicht, wir müssen zu einem Frieden kommen mit den Mächten, die Krieg führen, bevor die ganze Welt zu einem großen Friedhof wird.

THOMAS HENNEFELD