VON DER KRAFT DER LIEDER

Pst, ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis!

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten für mich persönlich und beruflich die Kraft der Lieder und des Gesangs wiederentdeckt. Lieder berühren, trösten, stärken, ermutigen … mitunter auf erstaunlich wundersame Weise … und manchmal haben sie auch eine besondere Geschichte! Wie z.B. das Weihnachtslied „O du fröhliche“.

Dessen munter-feierlich-getragene Melodie entstammt wohl dem Fundus sizilianischer Schiffer- oder Hochzeitslieder. In den deutschsprachigen Raum kam es über den Dichter, Theologen und Philosophen Johann Gottfried Herder, der Text stammt vermutlich von Johannes Daniel Falk, einem Privatgelehrten, der als Begründer der Sozialarbeit mit Jugendlichen gilt.

Nach 23 (!) Jahren mit Kriegen (zwischen Frankreich unter Napoleon Bonaparte und den verschiedenen europäischen Mächten) schrieb Falk den Text des Liedes im Jahr 1816. Sein Erfahrungs-Hintergrund waren panisch-verängstigte Flüchtlingsfamilien, zersprengte Haufen der preußischen Armee, die siegreich-zerstörerischen und raubgierig-gewalttätigen Truppen Napoleons und in ihrem Sog Kriegskrüppel, Obdachlose und hungernde Waisenkinder. Falk tat, was er konnte, um die körperliche und seelische Not der Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung zu lindern.

Dazu trug auch der Text des strahlend-schönen Weihnachtsliedes bei, er berührte die Menschen, sie verliebten sich sofort in „O du fröhliche“: Der sonst eher spröde Geheimrat Johannes Wolfgang von Goethe, wie Falk in Weimar lebend, gestand, er sei vom „schlichten Glanz“ des Liedes „hingerissen“.

Lieder haben ihre eigene Geschichte und entfalten ihre eigene Kraft. Das wird mir grad jetzt wieder bewusst, wo wir auf den Advent und das Weihnachtsfest zugehen. Ich spüre, dass sich im hintersten Winkel meines Herzens und meiner Seele ganz leise erste adventliche und weihnachtliche Melodien zu regen beginnen … gegen alle Realitäten wie Krieg, Inflation, Klimakrise …

Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie auch ein Weihnachtslied, das Ihnen besonders am Herzen liegt? „Stille Nacht“? „Ihr Kinderlein kommet“? „Ich steh’ an Deiner Krippen hier“? Oder auch „O du fröhliche“? – Ganz egal, welchen Titel es trägt, ich wünsche Ihnen, dass Sie wie der alte Goethe vom schlichten Glanz Ihres persönlichen Lieblings-Weihnachtsliedes „hingerissen“ sein mögen – dieses Jahr hoffentlich noch mehr als sonst!

Einen besinnlichen Advent, gesegnete Weihnachten und ein friedliches neues Jahr wünscht Ihnen

Ralf Stoffers
Pfarrer Bregenz