Sich vom Bösen nicht überwältigen lassen

Gedenklichter am Friedmannplatz © Bertram Hofer

Wenn das eigentlich Undenkbare plötzlich Realität wird und das Unfassliche unsere Welt aus den Angeln hebt, dann gehen uns meist sehr schnell die Worte aus … Was soll man auch sagen angesichts dessen, was man nicht begreifen kann?

Was an Tröstendem und Solidarischem zu sagen versucht wurde, ist längst alles mehrfach ausgesprochen, von offiziellen Vertretern in Politik und Kirchen und vermutlich auch im persönlichen Umkreis der Betroffenen. Wir können nur hoffen, dass unser Mitgefühl – mit und ohne Worte – den Menschen Kraft und Trost geben kann und das Gefühl, mit ihrem Schrecken nicht allein zu sein.

Denn auch wir sind erschreckt, verunsichert und ja, auch wütend, dass so etwas Furchtbares geschehen und im Grunde jede und jeden von uns treffen kann.

Aber wir dürfen uns „vom Bösen nicht überwältigen lassen“ und die Vernunft nicht ausschalten!

Und schon gar nicht dürfen wir zulassen, dass eine ganze Religionsgemeinschaft verantwortlich gemacht wird für die Tat eines Einzelnen. Es war die Entscheidung eines einzelnen, leider noch sehr jungen Mannes, verwirrt und fehlgeleitet, mit einem verrückten Weltbild loszuziehen und wahllos und willkürlich Menschen zu Opfern zu machen. Welche Motive und Anstifter auch immer im Hintergrund stehen mögen, er hat entschieden und seine Tat ist durch nichts zu entschuldigen und zu rechtfertigen. Aber wir dürfen uns nicht dazu hinreißen lassen, uns in Vorurteil, Mutmaßungen und Schuldzuweisungen gegenseitig zu zerfleischen. So nämlich nährt sich der Terror, und so wird er mächtig. Und die gegenwärtige Tendenz der (westlichen) Gesellschaft, sich abzuschotten und viele, die nicht in ihr Idealbild passen, zu Außenseitern zu machen, leistet der Radikalisierung Einzelner mächtig Vorschub.

Ja, wir brauchen einen gemeinsamen und kompromisslosen Schulterschluss

gegen Extremismus und Terror, wer auch immer ihn ausübt und egal mit welchem Ziel. Das darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass wir kleingeistig und engherzig agieren. Furcht und Hass sind schlechte Ratgeber, und die leider auch unter Christen immer noch viel zu weit verbreitete Regel des „Aug um Auge“ führt ganz offensichtlich nur dazu, dass die Welt blind wird.

Was wir jetzt brauchen ist Mut.

Alle gemeinsam und jeder und jede Einzelne. Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen. Weder vom Terror, noch von zerstörerischer, spaltender Politik, noch von einem derzeit allgegenwärtigen ebenfalls zerstörerischen Virus.

Wir sollten diesen Mut versuchen aus allen Quellen, die uns zur Verfügung stehen, zu schöpfen.

Gerti Rohrmoser
Direktorin der Evangelischen Frauenarbeit in Österreich

REAKTIONEN AUF DEN ANSCHLAG IN WIEN VOM 2. NOVEMBER

Stilles Gedenken der Religionsgemeinschaften für das Miteinander

In Verbundenheit zogen Vertreterinnen und Vertreter österreichischer Religionsgemeinschaften durch die Wiener Innenstadt, um so ihren Einsatz gegen den Hass und für das Miteinander zum Ausdruck zu bringen. Der Weg führte am Donnerstag, 4. November, vom Hohen Markt über die Ruprechtskirche und die Seitenstettengasse auf den Schwedenplatz. Initiiert worden war der im Schweigen abgehaltene Gang vom Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister. Vor dessen Synagoge in der Wiener Seitenstettengasse hatte der Attentäter auf Passanten geschossen. An dem Zug nahmen die Repräsentanten zahlreicher Glaubensgemeinschaften teil, darunter, neben Hofmeister, von den Evangelischen Kirchen der lutherische Bischof Michael Chalupka, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld, der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs und der Wiener lutherische Superintendent Matthias Geist. Ebenso Kardinal Christoph Schönborn, der griechisch-orthodoxe Metropolit Arsenios Kardamakis und der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft Ümit Vural.

„Wir wollen unsere Betroffenheit und unsere Erschütterung zum Ausdruck bringen über diesen blutigen Anschlag in unserer Stadt, wo Menschen bislang in Frieden gelebt haben“, sagte der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld zum Evangelischen Pressedienst. Man wolle signalisieren, „dass wir als Religionsgemeinschaften uns gemeinsam für den Frieden, gegen den Hass und gegen die Gewalt einsetzen.“ Der Zug durch die Innenstadt solle ein Zeichen sein, dass Religionen nicht gegeneinander stehen, „sondern sich miteinander für das Wohl und den Frieden in dieser Stadt und diesem Land einsetzen.“

Wien (epdÖ/Red.)

Botschaft der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa

Mit tiefer Betroffenheit reagieren der Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) Dr. Mario Fischer und die Verantwortlichen der drei in Wien ansässigen GEKE-Mitgliedskirchen auf den blutigen Anschlag in der Allerseelennacht in Wien. „Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Angehörigen der Opfer. Wir denken auch an die vielen Menschen, die letzte Nacht in der belebten Innenstadt Wiens Todesängste durchstehen und Gewalt miterleben mussten,“ sagt Mario Fischer.

Es zeige sich einmal mehr, dass das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit in Spannung mit der grundsätzlichen Unsicherheit des Lebens stehe. „All unsere Sicherheitsvorkehrungen können keine hundertprozentige Sicherheit bringen,“ betonen die Kirchenleitenden Michael Chalupka, Thomas Hennefeld und Stefan Schröckenfuchs für die lutherische, reformierte und methodistische Kirche in Österreich. Gegensätze könnten niemals mit Gewalt, sondern nur durch Dialog überbrückt werden. „Dass wir verbindliche Erklärungen für die Ereignisse suchen und nach noch mehr Sicherheit rufen, ist gleichermaßen menschlich verständlich und letztlich unerfüllbar,“ gibt Mario Fischer zu bedenken.

„Der Glaube ist für uns ein Anker in den Unsicherheiten des Lebens. Er kann uns helfen, angesichts der schockierenden Geschehnisse zusammenzustehen und Mut zu fassen, um aufeinander zuzugehen,“ so die Botschaft des GEKE-Generalsekretärs und der Kirchenleitenden der drei evangelischen Kirchen Österreichs.

GEKE