Sakramente und Sehnsucht – Silicon Valley

Die Demokratie stirbt in der Dunkelheit. Szenen vom NEAprotest "Protect Our Public Schools" am 12.2.25. Pädago gen, Eltern und Bürger stampften mit den Füßen in den sechs Zentimeter nassen Schnees auf dem Gelände des Capitol Hill, um gegen die Demontage des Bildungsministeriums durch Trump zu protestieren. Foto: wikimedia, Geoff Livingston, USA
Die Demokratie stirbt in der Dunkelheit. Szenen vom NEAprotest „Protect Our Public Schools“ am 12.2.25. Pädago gen, Eltern und Bürger stampften mit den Füßen in den sechs Zentimeter nassen Schnees auf dem Gelände des Capitol Hill, um gegen die Demontage des Bildungsministeriums durch Trump zu protestieren. Foto: wikimedia, Geoff Livingston, USA

Was reformierte Theologie den MAGA-Katholiken entgegnen kann

In den letzten Jahren hat sich ein bemerkenswerter Schulterschluss zwischen Teilen des katholischen Traditionalismus und den Akteuren des amerikanischen Technokapitalismus vollzogen. Sogenannte „MAGA-Katholiken“ sind ultrakonservative US-Katholiken, die sich stark mit der Bewegung „Make America Great Again“ rund um Donald Trump identifizieren. Sie verbinden politische Forderungen – etwa gegen Migration, Abtreibung und LGBTQI+-Rechte – mit einem religiösen, zuweilen apokalyptischen Wunsch nach einer Rückkehr zu einer autoritären, traditionellen Kirche. Dabei stehen sie oft in offener Opposition zum Vatikan und dem früheren Papst Franziskus, dem sie einen zu liberalen Kurs vorwarfen. Diese Strömung setzt auf Kulturkampf und religiösen Nationalismus und spaltet die katholische Kirche insbesondere in den USA tief.

Prominente Figuren sind z.B. Steve Bannon, früherer Chefstratege im Weißen Haus, Roger Stone, verurteilter politischer Provokateur, der später durch Donald Trump begnadigt wurde, Peter Thiel, Mitbegründer von PayPal, und JD Vance, Vizepräsident der USA unter Trump. Alle äußern sich offen positiv über den Katholizismus – und lehnen zugleich explizit den Protestantismus ab. Ihre Argumente werfen auch kritische Fragen an den liberalen Protestantismus auf, der oft Orientierung, Transzendenz und Gemeinschaft zugunsten individueller Freiheit in den Hintergrund treten ließ. Die reformierte Theologie hat hier jedoch mehr zu bieten, als es auf den ersten Blick scheint.

Ein neuer Katholizismus für das technologische Zeitalter?

Peter Thiel bekennt sich offen zum Katholizismus. Nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Identität als schwuler Tech-Milliardär. In einer Rede im Umfeld des Netzwerks „Acts 17 Collective“ soll er die biblische Schöpfungsgeschichte als das ursprüngliche Start-up bezeichnet haben: „Gott sagte ‚Es werde Licht!‘ – und es wurde Innovation.“ Für Thiel sei Gott ein rationaler Konstrukteur, ein „Logos, dessen Schöpfungskraft sich in jedem technologischen Durchbruch spiegle.

JD Vance wiederum schildert seine Hinwendung zum Katholizismus als Suche nach einer spirituellen Ordnung, die den Einzelnen in eine moralische Gemeinschaft einbettet. Der Protestantismus seiner Kindheit, so Vance, sei durch Individualismus und institutionelle Leere geprägt gewesen. In einem Artikel für die katholische Zeitschrift „The Lamp“ beschreibt er seine Konversion als bewussten Bruch mit der Leistungsgesellschaft und mit einem Glauben, der kaum mehr Gemeinschaft oder Autorität vermitteln konnte.

Was diese beiden Männer eint, ist die Überzeugung, dass der Katholizismus mit seiner rituellen Tiefe, seiner Vorstellung vom augustinischen „ordo amoris“ und seiner lehramtlichen Klarheit eine wirksame geistige Alternative zur fragmentierten Gegenwart biete.

Einsame Moderne und protestantische Mitverantwortung

Tatsächlich trägt der liberal geprägte Protestantismus eine Mitverantwortung für jene Leerstelle, die Vance und Thiel beklagen. Wo Kirche zur Dienstleisterin individueller Selbstverwirklichung wird, gehen Orientierung und Gemeinschaft oft verloren. Wo Transzendenz nur noch als Option unter vielen erscheint, wird die Frage nach dem „Wofür“ des Lebens an private Gefühle delegiert. Die spirituelle Vereinsamung und der moralische Relativismus, die viele Menschen empfinden, sind reale Herausforderungen – gerade auch im protestantischen Raum.

Doch die Alternative ist nicht notwendig katholischer Autoritarismus oder technologische Apokalyptik. Die klassische reformierte Theologie kennt ein tiefes Verständnis von Gemeinschaft, Gnade und Berufung, das gerade heute wieder neu entdeckt werden kann.

Was die reformierte Theologie entgegnen kann

Gnade statt Beschleunigung: Thiel interpretiert die Gegenwart als Apokalypse der Innovation. Die reformierte Theologie setzt dem das Wort der Gnade entgegen: Der Mensch ist gerechtfertigt allein durch Gottes Zuspruch, nicht durch Produktivität. Das befreit zu einem Leben in Verantwortung ohne ständigen Rechtfertigungsdruck.

Berufung statt Verwertung: Der Mensch ist in der reformierten Sicht nicht zum Erfolg, sondern zur Treue berufen. Der Beruf („Berufung“) ist kein Instrument zur Selbsterlösung oder Statussicherung, sondern ein Feld der Verantwortung vor Gott und den Nächsten. Damit entzieht sich die reformierte Ethik der Logik von Konkurrenz und Verdrängung, die Thiel dem Protestantismus unterstellt.

Hoffnung im Kreuz, nicht in der Optimierung: Die Hoffnung der Christen ruht nicht im Fortschritt, nicht im Markt, nicht in der Nation. Sie ruht im gekreuzigten und auferstandenen Christus. Gerade seine Schwachheit ist die Kraft Gottes. In einer Welt, die auf Selbstoptimierung und Beschleunigung setzt, bezeugt die reformierte Theologie einen Gott, der sich selbst erniedrigt hat und uns in unserer Begrenztheit begegnet.

Sphärensouveränität statt Fusionismus: Während Thiel und Vance auf eine enge Allianz zwischen Staat, Kirche und Wirtschaft zusteuern, betont die reformierte Theologie die Sphärensouveränität nach Abraham Kuyper: Jeder Lebensbereich (Kirche, Staat, Familie, Wissenschaft, Wirtschaft) hat seine eigene gottgegebene Autorität und Aufgabe unter Christi Herrschaft. Eine Vermischung dieser Sphären führt zu Machtmissbrauch und der Überschreitung gottgesetzter Grenzen.

Gemeinschaft durch das Wort: Was Thiel und Vance in der Liturgie, der Tradition und dem rituellen Erhabenen des Katholizismus suchen, findet die reformierte Kirche im Wort Gottes, in der gemeinsamen Auslegung der Schrift, in den Sakramenten als Zeichen der Gnade. Es ist nicht das Pathos der Form, sondern die Kraft des Zuspruchs Gottes, die die Gemeinde zusammenhält. Diese Gemeinschaft ist nicht elitär oder institutionell erzwungen, sondern geistgewirkt und geschwisterlich.

Fazit

Es ist kein Zufall, dass Vance und Thiel den Katholizismus als geistige Ressource für eine neue gesellschaftliche Ordnung entdecken. Ihre Kritik am Protestantismus sollte von reformierter Seite nicht empört, sondern selbstkritisch aufgegriffen werden. Gerade das fehlende Gemeinschaftsgefühl in immer leereren Gemeinden ist eine Herausforderung, der sich die Kirche stellen muss. Doch die Antwort liegt nicht im Rückschritt zu einer prämodernen Einheit von Thron, Altar und Rechenzentrum, sondern in einer Rückbesinnung auf die Stärken der eigenen Tradition.

Reformierte Theologie ist keine Spiritualität für Gewinner, sondern eine Theologie der Gnade für alle. In einer Welt, die nach Orientierung und Halt sucht, ist das eine bleibend revolutionäre Botschaft.

Angelo Comino