„Religions for Equality“ Ein Motto der Europride 2019

Rabbiner Lior Bar-Ami der jüdischen Gemeinde Or-Chadasch. © Tobias Barniske

Interview mit dem liberalen Rabbiner Lior Bar-Ami

Am 15. Juni fand die Euro-Pride auf der Wiener Ringstraße statt, ein riesiges Event, tausende Menschen bevölkerten den Ring. Es gab eine Gruppe mit dem Transparent „Religions for Equality“. Mitten in der Gruppe evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer und dem lutherischen Superintendenten für Niederösterreich Lars Müller-Marienburg fand sich auch der Rabbiner Lion Bar-Ami. Unser Redakteur Angelo Comino fragte bei ihm nach.

Comino: Sie sind Rabbiner der Wiener Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch und gehen offen mit Ihrer Homosexualität um? Hat die Gemeinde vor Ihrer Bewerbung davon gewusst und wie hat sie reagiert? Wie geht sie heute damit um?

Bar-Ami: Meine Gemeinde hat immer von meiner Homosexualität gewusst und ist positiv damit umgegangen. Alle zwei Jahre findet die Konferenz der „European Union for Progressive Judaism“, der wir angehören, statt, und so kannte ich bereits viele Gemeinde- und Vorstandsmitglieder und meine Homosexualität war nie ein Geheimnis. Als liberale Gemeinde gehen wir mit der Zeit, legen das Judentum gemäß dem 21. Jahrhundert aus und heißen alle Jüdinnen und Juden gleich welcher sexueller Orientierung und Gender-Identität willkommen. In diesem Jahr haben wir auch unseren 20. Pride Schabbat gefeiert, also ist dieser offene Umgang ein wichtiger Teil unseres Gemeindelebens und Festtagskalenders.

Wir haben in der Reformierten Kirche in Österreich einen langen Prozess hinter uns, um zur Segnung und nun zur Trauung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu kommen. Gibt es bei euch darüber auch theologische Debatten?

Bar-Ami: Das Thema Homosexualität und die Ehe für alle war natürlich auch bei uns ein Thema. Das liberale Judentum setzt sich immer für die Rechte aller Menschen ein. In den USA, wo das progressive Judentum in der Mehrheit ist, unterstützen unsere Gemeinden und Rabbiner die Bürgerrechtsbewegungen und setzten sich bereits im Jahr 1965 für die Entkriminalisierung der Homosexualität ein. Es vergingen jedoch einige Jahrzehnte und Debatten, ehe es zu einer völligen Gleichstellung kam. Im Jahr 2000 entschied die CCAR (Central Council of American Rabbis), deren Mitglied ich bin, dass es Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare geben sollte. Diese Resolution wurde von 500 Rabbinerinnen und Rabbinern angenommen. Im Jahr 2013 votierte die CCAR dann für vollkommene Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren und für die Ehe für alle.

Wie war deine Geschichte des Outings und wie ist es dir dabei gegangen?

Bar-Ami: Mein Coming Out hatte ich bereits recht früh. Mit 13 oder 14 Jahren habe ich mich den ersten Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden anvertraut. Eine Lehrerin meiner Schulzeit hat mich damals sehr unterstützt und ermutigt offen mit meinem Schwulsein umzugehen. Mit ungefähr 16 Jahren habe ich mich dann ganz geoutet. Die Mehrheit meiner Mitschülerinnen und Mitschüler haben sehr positiv reagiert, aber es gab auch eine Minderheit, die sich schwer getan hat. Ebenso war es auch in meiner Familie. Nur sehr wenige Familienmitglieder können bis heute damit nicht umgehen. Als ich dann zum Studium in eine andere Stadt und meine eigene Wohnung gezogen bin, habe ich mir selbst versprochen, fortan nur noch positiv und offen mit meiner Homosexualität umzugehen und nicht mehr in den „Kasten zurückzukehren“. Meine damalige Gemeinde in Hameln und ihre Präsidentin und Rabbinerin haben mich dabei sehr unterstützt und mich in diesem Versprechen bestärkt.

Gibt es weitere Pläne mit anderen Religionsgemeinschaften?
Bar-Ami: Unsere Initiative Religions for Equality war ein wirklicher Erfolg. Ich bin immer noch überwältigt, dass wir mit 100 Personen eine der größten angemeldeten Gruppen waren und sich dann weit mehr angeschlossen haben. Ich glaube, dass das positive Signal, das wir mit unserer Initiative gesetzt haben, viele Religionsgemeinschaften ermutigt hat, sich uns weiter anzuschließen, und wir hoffen, dass im nächsten Jahr noch mehr Religionen vertreten sein werden.

Rabbiner Mag. Lior Bar-Ami betreut seit Dezember 2017 „Or Chadasch – Jüdische Liberale Gemeinde Wien“. Diese besteht seit 1991 und ist die einzige jüdische Gemeinde in Österreich, die nach den Grundsätzen des Reformjudentums organisiert ist.

Angelo Comino
Student an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien