von Universitätsassistent Thomas Scheiwiller
Vor 500 Jahren zu Pfingsten fand der Bildersturm in Zürich statt und damit ein Startschuss für die reformierte Reformation. In drei Teilen beschreibt Universitätsassistent Thomas Scheiwiller diesen reformatorischen Aspekt. Dieser dritte Teil bildet den Abschluss und in Kürze veröffentlichen wir den kompletten Text in der ergänzten und langen Version.
Der unsichtbare Gott
In diesem dritten Teil erfahren Sie, was der Bildersturm mit Herrschaft zu tun hat, ob es sich dabei um eine Emanzipation handelt und wie sich unser Verständnis vom Bild historisch gewandelt hat. Für die Reformation wird das Bild als Medium der Heilsvermittlung überflüssig. Wie die Bilderkritiker im Byzantinischen Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts, haben auch die Reformatoren die reale Präsenz des Heiligen in den Bildern für theologisch nicht haltbar erklärt. In diesem Fall werden Bilder zusehends zu Medien der Erinnerung. Außerhalb der theologischen Bildkritik nehmen sie allerdings weiterhin eine Repräsentationsfunktion ein. Sie stehen dort für eine im öffentlichen Raum inszenierte Macht durch Führungspersönlichkeiten. Mit der Macht in Konkurrenz stehende Darstellungen verweisen hingegen auf Götzen oder Dissidenten.
Beim Bilderstreit handelt es sich in erster Linie um Herrschaftsverhältnisse. Der damit in Verbindung stehende Bildersturm wird auch als Ikonoklasmus bezeichnet. Mit dem Ikonoklasmus wird der Vorwurf ausgedrückt, dass fremd gewordene Bilder aus dem Bereich der Anbetung verbannt werden.
Bildersturm als Herrschaftsinstrument
Unabhängig von der Religion und Epoche sind Bilderstürme öffentliche Zurschaustellungen der Entmachtung des alten und der Einsetzung des neuen ›wahren‹ Glaubens. Ob es sich bei einem Bildersturm um einen ›Modernisierungsprozess‹ oder einen ›Kulturabbruch‹ bzw. um eine ›Tempelreinigung‹ oder ›Barbarei‹ handelt, ist immer auch eine Frage der Perspektive und der Deutungshoheit. Die Bilderkritik bzw. der Bildersturm ist nicht nur ein Herrschaftsinstrument, sondern kann auch als ein Emanzipationsvorhaben gedeutet werden. Die von den Reformierten vorangetriebene Konzentration auf das Wort hatte zum einen den Abbruch mit den eigenen Kultur- und Erinnerungsformen zur Folge. Zum anderen werden durch das Ausräumen von Sakralräumen auch hierarchische Strukturen und Zwänge hinterfragt. Dieser Abbruch kann auch als Rationalisierungsprozess gedeutet werden – als eine „Entzauberung der Welt“, wie Max Weber es nennt. Mit der Reformation geht eine Medienrevolution einher. Es wird in diesem Zusammenhang eben nicht ein selbstständiges Kunstwerk, sondern ein Heiligenbild zerstört. Mit der reformatorischen Einsicht, dass weder Priester, Liturgie noch Bilder als Heilsvermittler gelten, ist ein Fokus auf das eigene Gewissen und den eigenen Glauben verbunden. Diese Veränderungen haben wichtige Impulse für Individualitätsprozesse und die moralische Selbstbehauptung der frühen Neuzeit geliefert. Indem Zwingli die Absicht hatte, sich von sinnlicher Ablenkung in Musik und Bild abzuwenden, lenkte er den Fokus auf das Wesentliche: das Wort bzw. das andächtige, auf Gott gerichtete, Denken. Diese Entscheidung kann aus heutiger Perspektive als moderne Veränderung gedeutet werden. Aus der Perspektive der Reformatoren repräsentieren die kirchlichen Heiligenbilder die Macht des ›alten Glaubens‹. In diesem Zusammenhang werden auch soziale und politische Fragen zum kirchlichen Eigentum, zum Zehnten, zur Leibeigenschaft oder den durch das Söldnerwesen aufkommende Einfluss fremder Herrscher auf die Eidgenossenschaft gesellschaftlich verhandelt. Abschließend gilt es zu fragen, inwiefern die Erinnerung an das vielschichtige Phänomen des Bildersturms für Reformierte heute von Interesse sein kann.
Die Bilder bestürmen uns:
Bilder in der Gegenwart
Zum einen haben die Bilderstürme und die konsequente Ablehnung von ›Heilsmedien‹ nicht nur den Glauben, sondern auch die Sehgewohnheiten und das Kunstverständnis verändert. Dem Verbot von Heiligenbildern an reformierten Orten folgte eine Phase, in der eine allgemeine Zurückweisung bildlicher Darstellungen zu beobachten war. Des Weiteren wird gar darauf hingewiesen, dass die reformierte ›Bilderarmut‹ mit der Kritik an der figurativen Darstellung der modernen abstrakten Kunst zusammenhängt. Der heutige Umgang mit Bildern ist mit jenem des 16. Jahrhunderts nicht zu vergleichen. Das seltene und besondere Bild, das in der Frühen Neuzeit Gott repräsentiert, ist der inflationären Bilderproduktion der Moderne gewichen. Nicht nur das Erinnern, sondern auch das Löschen und Vergessen sind Bestandteile von Kulturprozessen. Allerdings kommen wir heute mit dem Löschen nicht mehr hinterher – die Bilder bestürmen uns. In diesem Zusammenhang wird das heutige Bildverständnis auch als „aufgeklärter Ikonoklasmus“ beschrieben: Die Erwartung an eine durch Bilder vermittelte Realität und Wahrheit hat sich als Illusion erwiesen, weshalb vom Bild in erster Linie Effekte und Unterhaltung erwartet werden. Das Bild steht heute weder für das Imaginäre, den Jenseitsbezug oder die Einzigartigkeit, sondern verweist ins Virtuelle und auf die Austausch- und Marktfähigkeit visueller Kommunikation in Werbung oder Kino.
Da Bildproduktion und -betrachtung zum menschlichen Leben gehören, ist eine theologische und kirchliche Auseinandersetzung mit Bildern notwendig. Während früher die Kirchen ausgeräumt wurden, wird heute die bildhafte Meditation und die Kunstsinnigkeit der bürgerlichen Religion im Kirchenraum hervorgehoben. Der bewusste und reduzierte Einsatz von Bildern im reformierten Kontext erinnert an deren Ambivalenz: wir sind den Bildern nicht nur im Sinne einer „Ikonomanie“ wahnhaft verfallen, vielmehr bietet uns das Deuten der Bilder eine Orientierungshilfe in einer symbolisch verstandenen Lebenswelt.
Gott: Von der Schrift verborgen und vom Bild verbannt
In Erinnerung an die Bilderstürme und die konfessionellen Auseinandersetzungen der Frühen Neuzeit sehen sich heutige Reformierte vor die Aufgabe gestellt, die eigene Glaubenstradition und -geschichte in einen spätmodernen Kontext zu setzen. Sowohl Religion wie Bilder als auch Politik und Soziale Medien werden benutzt, um extreme Positionen bzw. ein vereinfachtes Freund-Feind-Denken zu verschärfen. Der Ausgang der Reformation bietet dabei eine ambivalente Bilanz: Zum einen wird das Bild als ein für den Glaubensvollzug offenes Interpretationsmedium zurückgedrängt. Die Konzentration auf das Wort hat zur Folge, dass sowohl die Verkündigung als auch das Zuhören stärker in den Fokus gelangen. Zum anderen kann abschließend darauf verwiesen werden, dass die Beweggründe Zwinglis für den vom Züricher Rat an Pfingsten 1524 angeleiteten reformatorischen Bildersturm nicht auf einen blinden Vandalismus im Namen einer Theokratie hinausliefen. Vielmehr war der Bildersturm auf die humanistischen Überzeugungen zurückzuführen, dass der unsichtbare Gott nur im Wort offenbart wird, weshalb Gott hinter der Schrift verborgen bleibt und aus den Bildern verbannt werden muss.
Thomas Scheiwiller
Universitätsassistent am Institut für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien
Bild: Reformation 1524 Ittinger Sturm
Quelle: wikimedia commons