Einer der weniger bekannten Reformatoren
Im Rahmen des Reformationsjubiläums ist ein fester Bestandteil „Reformation und Judentum“. Meist erschöpft sich das in starkem Maße auf die Hasstiraden des späten Luther auf die Juden. Es gab in der Reformationszeit von einigen Reformatoren und Humanisten eine bescheidene, aber auch beeindruckende Forschung über hebräische und jüdische Schriften, auch mit Juden, die ihrem Glauben treu blieben. Johannes Reuchlin, Sebastian Münster, Wolfgang Capito, Andreas Osiander, um einige zu nennen.
Hebraist, Judaist und Reformator
Ein bedeutender Hebraist und Judaist dieser Zeit war der Reformator Paul Fagius (1504–1549), der in dem Magazin zum Reformationsjubiläum „2017. Nach Gottes Wort Reformiert“ etwas vereinnahmend als reformierter Reformator ausgewiesen wird. Unstrittig ist, dass er ein oberdeutscher Stadtreformator war, in Isny im Allgäu, in Konstanz und danach mit seinem väterlichen Freund Martin Bucer ein sehr geschätzter Pädagoge und später ein ausgezeichneter Professor für hebräische Sprache und Theologie in Straßburg. Er erwarb in Straßburg seine Hebräischkenntnisse von dem Reformator Capito und von durchreisenden Juden. Fagius beschränkte sich aber nicht auf die Beschäftigung mit alttestamentlichen Schriften, sondern er widmete sich auch den hebräischen Schriften. In die sehr kleine freie Reichstadt Isny im Allgäu, eine Stadt mit ein paar hundert Einwohnern, lud er den berühmten jüdischen Humanisten Elias Levita aus Italien ein, da Levita, ein gebürtiger Franke, auf der Suche nach einem Verleger war. Der hochbetagte Levita zog über die Alpen nach Isny und wohnte 1541–1542 dort. Gerne würde man erfahren, wie Fagius und Levita sich in der Zeit begegneten, wie sie über ihren jeweiligen Glauben diskutierten. Leider schweigen darüber die Quellen, allerdings sind beide voll des Lobes über den jeweils anderen. Sie publizierten mehrere hebräisch-lateinische Bücher, teils gemeinsam, teils einzeln in dem Verlag, den Fagius 1539 in Isny gegründet hatte und der von seinem Schwager Jakob Froschesser betrieben wurde. Das erste Buch, das Fagius als alleinigen Verfasser ausweist, ist eine lateinisch-hebräische Ausgabe mit Anmerkungen über den Talmudtraktat „Sprüche der Väter“ aus dem Jahr 1541.
Fagius’ Schrift im Schottenstift zu Wien
Bücher in der damaligen Zeit waren sehr kostbar und teuer und wurden nur in sehr geringer Zahl gedruckt. Umso erstaunlicher ist eine Entdeckung in einem Exemplar des erwähnten Werkes mit einem Bezug zu Wien. Der erste Besitzer war Prior des Schottenstiftes, Leonhard Faber, ein Tiroler aus Münster, nicht weit weg von Innsbruck. Im Archiv des Schottenstifts ist vermerkt, dass er 1541 ein Buch erwarb. Auch wenn der Titel im Archiv nicht genannt wird, dürfte es sich dabei um ein Exemplar des frisch gedruckten Buches handeln. Judaistische Studien über die Konfessionsgrenzen hinweg in Wien, christliches Lernen von einem katholischen Prior anhand von jüdischen Quellen anhand einer Textausgabe eines Reformators? Durchaus denkbar, zumal Bücher ein kostbares Gut waren. Vielleicht aber auch nur ein besonderes Interesse eines Mönches an monastischen Lebensregeln (Sprüche der Väter), was der hervorgehobene lateinische Buchtitel nahelegt: Klassische, kunstvolle, fromme und wunderbare Aussprüche. Aus Ermangelung eines Professbuches verraten die Stiftsquellen leider nichts Weiteres über Faber.
Frühes Plädoyer für gemeinsames Studium
Die Kommentare von Fagius gegen Ende der Schrift sind bedauerlicherweise nicht ganz frei von Vorurteilen. Ob aus Überzeugung oder aus Schutz, um über sein Festhalten am christlichen Glauben keinen Zweifel zu lassen, beides besitzt einen schalen Beigeschmack. In einem Brief Bucers wird zumindest die Sorge laut, dass Fagius und seine Schüler auf Grund der jüdischen Studien sich dem christlichen Glauben entfremden könnten. Es geht Fagius bei seinen Hebräischstudien um ein besseres Verständnis des Alten Testaments. In seinen Anmerkungen zu Weisheitssprüchen ist er jedoch nicht ganz frei von einem christlichen Zeugnis gegenüber Israel, wie der hebräische Text auf der Titelseite vermuten lässt: „Ich hoffe auf den Messias, den Gesandten, dass er in der Zukunft richten wird die Lebenden und die Toten.“ Ein – seltener- Hinweis, dass Juden und Christen in der Reformationszeit bei der Erforschung von jüdischen Schriften intensiv zusammenarbeiteten, ein Plädoyer für ein gemeinsames Studium der jüdischen Quellen heute auf Augenhöhe, nicht den anderen vereinnehmend, um über den jüdischen Glauben angemessen informiert zu sein und nicht über Hetzschriften und Zerrbilder aus fremder Hand.
PETER BROCKHAUS
(Reformiertes Kirchenblatt 12/2017)