Luthers Mahnung: „Das Wort sie sollen lassen stahn!“

Ulrich H.J. Körtner Foto epd Marco Uschmann

Zum Vorstoß des Papstes, den Wortlaut des Vaterunsers abzuändern

Dieser Papst begeistert viele, auch Protestanten. Sein Reformeifer erzeugt in der eigenen Kirche Aufbruchsstimmung und weckt in der Ökumene Hoffnungen. Franziskus ist spontan, herzlich und meinungs¬ freudig, aber nicht unbedingt theologisch sattelfest. Das beweist einmal mehr sein jüngster Vorstoß, den Wortlaut des Vaterunsers abzuändern.

Führe uns nicht in Versuchung

Statt: „Führe uns nicht in Versuchung“, solle es besser heißen: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Der Papst folgt den französischen Bischöfen, die kürzlich die französische Übersetzung des Vaterunsers in diesem Sinne verändert haben, was nicht ohne Billigung Roms möglich ist. Die bisherige italienische und die deutsche Übersetzung hält Franziskus dagegen für schlecht.

Er nennt dafür allerdings keine philologischen Gründe, sondern gibt eine bestürzend schlichte theologische Erklärung. Die Übersetzung müsse deshalb falsch sein, weil schon der bloße Gedanke, Gott könne einen Menschen in Versuchung führen, abwegig sei. Ein Vater tue so etwas nicht. Ein Mensch könne wohl fallen, aber „ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.“

Zurück zu einem manichäischen Weltbild?

Der Papst spricht auch sonst vom Satan als Gegenspieler Gottes als einer intelligenten, rhetorisch überlegenen Person, die ein manichäisch-dualistisches Weltbild begünstigt. Allerdings passt seine Sichtweise auch zu einem modernen Mainstream-Christentum, das den biblischen Gott von allen verstörenden, widersprüchlichen und bisweilen abgründigen Zügen reinigen will. Das Gottesbild wird nach den Maßstäben heutiger Moral passend gemacht und die Theodizeefrage – die Frage also nach Gottes Güte und Gerechtigkeit angesichts des Bösen und des Leidens – durch fromme Floskeln überdeckt.

Dass Hiob im Alten Testament von Gott auf eine unbarmherzige Probe gestellt wird, und dass sein Rechtstreit mit Gott keine wirkliche Lösung findet, fällt ebenso unter den Tisch wie die Prüfung Abrahams, der beinahe seinen Sohn geopfert hätte, durch Gott. Und auch Jesus wurde versucht und geriet in Anfechtung, wie im Hebräerbrief (2,17) zu lesen steht. Dass niemand von Gott versucht werde, sondern allein von den eigenen Begierden, wie der Jakobusbrief (2,13f) erklärt, kann man nur als Verkürzung des gesamtbiblischen Befundes bezeichnen.

Erlöse uns vom Bösen

Wer dagegen so harmlos wie Franziskus argumentiert, ist für den modernen Atheismus, der die vermeintliche Nichtexistenz Gottes durchaus als Verlust betrauert, kaum ein ernstzunehmender Gesprächspartner auf Augenhöhe. Aber auch auf der Ebene des persönlichen Glaubens und möglicher Glaubenskrisen macht man es sich so zu einfach. Theologisch macht es im Ergebnis keinen wirklichen Unterschied, ob Gott einen Menschen aktiv in Versuchung führen oder durch Unterlassen in Versuchung geraten lassen könnte.

Der griechische Text des Vaterunser will allerdings keine Antwort auf die weltanschauliche Frage nach dem Ursprung des Bösen geben, sondern er legt alles Gewicht auf den zweiten Teil der Bitte, Gott möge uns von dem Bösen erlösen. Sie ist von der Zuversicht getragen, dass Gott das tatsächlich nicht nur kann, sondern auch tun wird.

Übrigens ist der griechische Text gar nicht so schwer zu übersetzen, wie der Papst und andere behaupten, auch wenn schon einige altlateinische Übersetzungen am Text herumgedeutelt haben, um Gott von dem Vorwurf, er können Menschen in Versuchung führen, freizusprechen. Luthers aktivische Übersetzung „und führe uns nicht in Versuchung“, der auch die Zürcher Bibel und selbst die katholische Einheitsübersetzung folgen, ist sprachlich korrekt, wie auch der renommierte katholische Neutestamentler Thomas Söding feststellt.

Ökumenische Fassung nicht in Frage stellen

Zwar interpretiert Luther im Kleinen Katechismus die sechste Bitte des Vaterunsers in ähnlicher Weise wie Papst Franziskus, hat aber darum doch nicht den Wortlaut des Gebetes abgeändert. Zwischen Übersetzung und Interpretation gilt es zu unterscheiden. Zudem weiß Luther sehr wohl um die dunklen Seiten Gottes, von denen die Bibel berichtet, wenn er in anderem Zusammenhang zwischen dem Gott des Evangeliums, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat, und dem verborgenen Gott unterscheidet, der uns rätselhaft und abgründig erscheinen kann.

Es war ein großer ökumenischer Fortschritt, als sich die Kirchen in den 1970er Jahren auf die heute gültige ökumenische Fassung des Vaterunser geeinigt haben, die es evangelischen und katholischen Christen ermöglicht, das Gebet Jesu gemeinsam zu sprechen. Dieses hohe Gut sollte nicht durch fragwürdige Übersetzungsversuche aufs Spiel gesetzt werden. Schon um der Ökumene willen, die doch auch Franziskus am Herzen liegt, sollten wir uns an Luthers Mahnung halten: Das Wort sie sollen lassen stahn!

ULRICH H.J. KÖRTNER
(Erweiterte Fassung eines Gastkommentars, der am 14.12.2017 in der „Presse“ [S. 27] erschienen ist.)