Jesus war Ungar

Buchrezension
Gábor Fónyad: Als Jesus in die Puszta kam.

Elster & Salis Verlag Wien 2021

Der Titel verführt, dem Autor in die Weiten der ungarischen „Prärie“ zu folgen und in eine absurde Geschichte einzusteigen, die doch nicht ganz unmöglich scheint. Gábor Fónyad lässt sich von dem munteren Treiben auf Internetforen inspirieren, die sich zu „Blasen“ entwickeln, in deren Parallelwelten User der komplizierten Realität und dem verwirrenden Pluralismus entfliehen können.

In seinem zweiten Roman dramatisiert er mit kräftigem ironischen Unterton das unselige Treiben von Volksverführern, die zu Volksverhetzern und Diktatoren mutieren. Der atemberaubende Umgang mit Fake-News und Verschwörungstheorien sowie die Verunglimpfung der freien Presse und demokratischen Ordnung gepaart mit religiöser Verbrämung und bigotter Moral. Die Seitenhiebe auf politische Umtriebe und Kirchen, die darin mitmischen, wie das Wähler und Nichtwählervolk, das dem nur zu gern auf den Leim geht und auf die Straße folgt, sind entlarvend. Ärgerlich und auch wieder befreiend, zu lesen, wie dumm man sein kann.

Jesus war „Ungar“

Das fängt mit dem Protagonisten an. Ein gewisser László, der eigentlich Ludwig heißt und Spielwarenverkäufer beim Herrn Pospischil in Wien war, wird von ein paar konspirativ agierenden Gestalten nach Budapest und von dort nach Kiskunfélegyháza gelockt, wo sich die ominöse Gemeinde der Urmagyaren eingenistet hat. „Es geht um die größte Verschwörung der Menschheitsgeschichte. Die Mainstream-Forschung behauptet bekanntlich, dass die Ungarn erst seit tausend Jahren in Europa seien. Eine dreiste Lüge. Die Ungarn nämlich waren schon immer hier in Europa, vor allen anderen.“ (S. 35) Mehr noch. Sie waren überhaupt die ersten von Gott erschaffenen Menschen, der eigentlich auch in ihrer einzigartigen Sprache (ohne finnisch-estnische Einschläge) sprechen würde. Jedenfalls war Jesus Ungar und nun in László wiederentdeckt. Die „Parallelen zwischen dem Schicksal Jesu und jenem der Ungarn,“ predigen jene Rattenfänger in der Einöde: „Beide hätten eine Leidensgeschichte hinter sich, wie sonst niemand auf der Welt, beide hätten immer wieder ihren Kopf hinhalten müssen für die Vergehen anderer, weswegen Jesus auch am Kreuz gelandet sei.“

Verführung, Überwachung und Zwang

Der Roman folgt dem Sog der religiösen Indoktrination und dem Gruppendruck der fanatisierten Gemeinschaft. Dabei wird die Manipulation der Mitläufer in einem Gespinst aus Verführung, Überwachung und Zwang in mehreren Figuren und sehr unterschiedlichen Charakteren dargestellt. Von dem zwischen freundlicher Einschmeichelung und kalter Tyrannei chargierenden Anführer, der sein diktatorisches Regime systematisch aufbaut, über seinen gutgläubigen und getreuen Gehilfen, der aber am Ende doch ausbricht, der sich betrogen fühlt, weil Anspruch und Wirklichkeit zu weit auseinanderklaffen. Vom gutgläubigen Pastor, der seinen eigenen Phantastereien glaubt und sich den Folgen seiner Predigten verschließt, über den Helfershelfer, der ein Sicherheitssystem aus Geheimdienstoperationen und brutalem Terror aufbaut. Und schließlich László, der sich willenlos der ihm zugewiesenen Rolle des Idols hingibt und erst von der widerspenstigen Tochter des Pastors aus seiner Lethargie und dann aus dem kollektiven Gefängnis befreien lässt. Ein durchaus ernstes Thema, das den um sich greifenden lästigen Zeitgeist auf unterhaltsame Weise enttarnt und in den Spiegelszenen amerikanischer Westernfilme ein amüsantes Kolorit gibt.

Johannes Langhoff