Die Geburt Jesu – eine Zeitenwende

Hans_Kruzwicki_wikicommons

Am 27. Februar, also drei Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine und dem Beschuss zahlreicher Städte durch Raketen im ganzen Land mit gewaltigen Zerstörungen und zahlreichen Toten und Verletzten sprach der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung von einer Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Deutschland werde reagieren; u.a. mit einer neuen Sicherheitspolitik, einem gigantischen milliardenschweren Aufrüstungsprogramm und Waffenlieferungen an die Ukraine. Das Wort von der Zeitenwende haben Politikerinnen und Politiker wie auch Medien begeistert aufgegriffen. Das war und ist natürlich keine sachliche Feststellung, sondern vielmehr Ausdruck äußerster Empörung über das grausame Verhalten eines gefährlichen Tyrannen.

Markante Ereignisse

Ob ein Ereignis eine Zeitenwende markiert, werden wohl erst spätere Generationen beurteilen können. Für das Christentum ist die Geburt Jesu eine Zeitenwende gewesen. Aber es hat noch Jahrhunderte gedauert, bis sich dieser Umstand einer besonderen Geburt auf eine neue Zeitrechnung auswirkte. Dem Urchristentum dürfte der Zeitpunkt der Geburt Jesu unbekannt gewesen sein. In den Evangelien gibt es kaum Anhaltspunkte und die Hinweise, die sich dort finden, wie die Volkszählung unter dem Statthalter Quirinus, sind nicht unbedingt historisch zuverlässig. Erst in der Spätantike wurde neben der Erschaffung der Welt die Geburt Christi für die christliche Zeitrechnung herangezogen. Der erste christliche Theologe, der die Schöpfung zum Bezugspunkt der Jahreszählung machte, war Gregor der Große im 6. Jahrhundert, der zuerst Politiker war und sich später dann dem Mönchtum zuwandte. Er kam auf 5184 Jahre von der Erschaffung der Welt bis zur Auferstehung Jesu Christi. Es dauerte also ein halbes Jahrtausend, bis die Geburt Jesu überhaupt zum Bezugspunkt einer neuen Zeitrechnung wurde. Ab dem 6. Jahrhundert sollte Bezugspunkt der Zeitrechnung nicht mehr die Geburtsdaten von Kaisern, Königen, Konsulen oder anderen weltlichen Herrschern sein, sondern das Geburtsdatum Jesu, des ohnmächtigen Kindes in der Krippe in Bethlehem.

Kreuzigung als Wendepunkt

Der erwachsene Jesus sprach zwar selbst nicht von einer Zeitenwende, aber indirekt deutete er sie in zahlreichen Reden, Gleichnissen und Streitgesprächen an. Diese Zeitenwende feiert das Christentum bis heute, und es ist doch eine ganz andere Wende als die Wechsel von Epochen im Lauf der Geschichte und erst recht als eine Zeitenwende, die mit einem grausamen Krieg sich ereignet haben soll. Denn Jesus ist in einer buchstäblich blutrünstigen Zeit zur Welt gekommen. So mancher seiner Jünger hat da keinen anderen Ausweg gesehen als den der Gewalt und des Terrors gegen eine unterdrückerische Macht. Jesus wählte einen anderen Weg, nämlich den der Gewaltfreiheit, er rief auf zum Friedenstiften. Er wählte einen Weg, der aus weltlicher Sicht mit einer katastrophalen Niederlage endete, nämlich der Kreuzigung, aber für das Christentum war das nicht das Ende. Es folgte die Auferstehung und damit der endgültige Sieg über die Mächte des Todes. Deshalb wurde ja von der frühen Christeneinheit nicht die Geburt Jesu sondern die Auferstehung gefeiert.

Gerhard Reinisch - Zeitenwende 1990 (Wikicommons)
Gerhard Reinisch „Zeitenwende 1990“ (wikicommons)

Zeitenwende im Geist Jesu

Zeitenwende im Geist Jesu ist der Versuch, aus alten Mustern auszubrechen, Gewalt nicht als einzige Möglichkeit zu sehen, die Spirale von Gewalt und Gegenwalt, Zerstörungswut und Vernichtungsdrohung zu durchbrechen. Es ist höchste Zeit für eine Zeitenwende, eine Wende, die uns herausführt aus fossilen Energien, nicht nur wegen der russischen Abhängigkeit, sondern vor allem, weil das notwendig ist, um als Menschheit auf diesem Planeten zu überleben. Wir feiern Jesu Geburt, die Zeitenwende schlechthin, an der wir uns auch heute orientieren können. Das war auch eine Wende zum Licht, weg von Angst und Gewalt, hin zum Ruf Gottes: Fürchtet euch nicht! Aber lasst euch wenden. Wendet euch hin zum Schöpfer und Erlöser der Welt.

Thomas Hennefeld