Fragen zur politischen Verantwortung

Grüner/Roter Stift zur Auswahl

An alle Christinnen und Christen und alle Menschen guten Willens in Österreich! In einer Demokratie ist das Volk der Souverän. Daraus folgt für jede Bürgerin und jeden Bürger eine besondere Verantwortung.

Zur Wahrnehmung der politischen Entwicklungen und zur Erfüllung der gesellschaftlichen und staatsbürgerlichen Pflichten und Rechte wollen die christlichen Kirchen in Österreich, die im Ökumenischen Rat verbunden sind, dazu beitragen, Ihre politische Urteilskraft zu schärfen und Sie zu ermutigen, diese aktiv einzusetzen und selbst verantwortlich zu gebrauchen.

Die Empfehlung, die bereits der Prophet Jeremia an seine Landsleute gerichtet hat: „Bemüht euch um das Wohl der Stadt!“, erinnert uns an die Verantwortung, die wir als Christinnen und Christen für unser Land, unsere Stadt und alle, die darin wohnen, haben, und die wir in die vielfältigen Entscheidungsprozesse in unserer Gesellschaft einbringen sollen.

Das Evangelium, das wir als Christinnen und Christen gemeinsam bezeugen, beauftragt uns, auch kritische Anfragen an Politik und Gesellschaft zu richten. Auf diese Weise kommen die christlichen Kirchen ihrer prophetischen Aufgabe in der Welt nach.

Wo etwa Schwache an den Rand gedrängt werden, über sie abschätzig geredet und damit der Gewalt Vorschub geleistet wird, müssen die christlichen Kirchen wie auch jede/r Einzelne energisch widerstehen. Gegenüber der Herabwürdigung der Menschenrechte und gegenüber dem Angriff auf demokratische Grundstandards ist Toleranz nicht möglich. Genauso wenig wie gegenüber Antisemitismus und Rassismus.

Die folgenden Fragen sind eine Orientierungshilfe, das Gewissen zu schärfen, die eigene Meinung verantwortungsbewusst zu prüfen und zu begründen und darüber freimütig mit anderen ins Gespräch zu kommen.

„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein!“ (Matthäus 5,37)

  • Werden die anstehenden Probleme ehrlich benannt oder verschleiert?
  • Sind die Versprechungen und Zukunftsperspektiven glaubwürdig?
  • In welchem Ausmaß und auf welche Weise werden Angst, Unsicherheit und Vorurteile der Menschen gefördert oder vermindert?

„Es soll bei dir gar keine Armen geben“ (Deuteronomium 15,4)

  • Welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut im Land/der Stadt werden vorgesehen?
  • Welche konkreten sozialen Maßnahmen verbinden sich mit dem Eintreten für „Soziale Marktwirtschaft“?
  • Welche konkreten Maßnahmen erhöhen Armut und bedrücken Ärmere noch mehr?

„Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“ (Matth. 25,26)

  • Welche Vorschläge für eine integrative Politik werden gemacht?
  • Welche Unterstützung und Wertschätzung bekommt das Freiwilligen-Engagement für und mit anderen?

„Gerechtigkeit erhöht ein Volk“ (Sprichwörter 14,34)

  • Wie sprechen Politiker sowie die Vertreter/innen der Parteien von Minderheiten?
  • Welcher Stellenwert wird der Würde des Menschen zugestanden – vor Leistung und Status?
  • Von welchem Geist sind Äußerungen über die Aufgaben der Polizei, über Gerichtsverfahren und Strafrecht bestimmt?
  • Ist die Freiheit der Meinungsäußerung unangetastet oder bestehen Tendenzen zur Einschüchterung kritischer Stimmen?

„Dem Herrn gehört die Erde“ (Psalm 24,1)

  • Welchen Stellenwert hat der umfassende Schutz des Lebens?
  • Welchen Stellenwert haben die natürlichen Lebensgrundlagen?
  • Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz?

„Selig, die Frieden stiften“ (Matthäus 5,9)

  • Welches Gewicht hat die militärische Konfliktlösung gegenüber sozialen, politischen und kulturellen Maßnahmen?
  • Was wird in Bildung, Kultur und Sozialpolitik für gegenseitiges Verständnis und Toleranz getan?
  • Welchen Beitrag kann Europa zu sozialem Ausgleich und Frieden leisten?

Wir laden Sie herzlich ein mitzuhelfen, dass die Auseinandersetzungen in den kommenden gesellschaftlichen Beratungen und Entscheidungen mit unseren christlichen Grundüberzeugungen vereinbar sind. Das wäre auch ein Beitrag dafür, dass Werte wie Menschenwürde, Menschenrechte, sozialer Ausgleich und gegenseitiges Verständnis keine leeren Phrasen sind, sondern fest im gemeinsamen Leben aller Menschen in Österreich verankert bleiben.

THOMAS HENNEFELD