Auf das Maß der Empathie kommt es an.
Empathie kommt von em-pathos, was so viel bedeutet wie mitleiden. Empathie heißt Mitgefühl. Beim Wort Empathie denke ich an eine Begebenheit, die mir eine befreundete jüdische Freundin vor vielen Jahren erzählt hat. Ihre Tochter besuchte mit ihrer Schulklasse das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Nach der Besichtigung der grauenhaften Stätte saß das Mädchen verstört in einer Ecke und weinte. Ein einziger Klassenkollege registrierte diese Szene, kam zu ihr, setzte sich neben sie und legte ihr freundschaftlich, tröstend den Arm um ihre Schulter. Der Schüler war der Sohn eines Palästinensers.
Empathie ist in unserer Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit.
Im Gegenteil, sie wird oft als Schwäche ausgelegt. Und wenn wir in die große Politik schauen, da erlebe ich Politikerinnen und Politiker, die völlig empathiebefreit reden und handeln. Manche davon hängen sich noch ein christliches Mascherl um, wenn es darum geht, christliche Überlegenheit gegen andere auszuspielen.
Aber der Gott, der uns in der Bibel begegnet, ist ein durch und durch empathischer Gott. Er hat sein Volk aus Empathie aus der Sklaverei befreit. Aus Empathie zu uns Menschen ist Gott selbst Mensch geworden und bis zum bitteren Weg ans Kreuz gegangen. Das Kreuz als Inbegriff von Empathie und Solidarität mit allen Leidenden. Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, sagt Jesus zu den Bedrängten und drückt damit sein Mitgefühl aus, nicht exklusives Mitgefühl, wie wir es heute in den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten beobachten können, zu einer bestimmten Gruppe, zum eigenen Volk, zur eigenen Nation. Die Empathie Gottes übersteigt jede Einteilung in Kategorien, in Wir und die Anderen.
Ich behaupte, dass eine Gesellschaft, in der es viele empathische Menschen gibt, eine humanere und friedlichere Gesellschaft ist. Wir brauchen auch Politikerinnen und Politiker mit Empathie. Daran sollten wir gerade vor den kommenden Nationalratswahlen denken.
Nicht „Austria first“ oder „Europe first“ sondern „human being first“
Ich mache mir keine Illusionen. Parteien haben ihre Interessen. Politikerinnen und Politiker wollen gewählt werden und achten darauf, wie sie bei der Bevölkerung ankommen. Aber es gibt Unterschiede, und das Maß an Empathie könnte doch eine Orientierung für eine Wahlentscheidung sein. Werben politische Parteien mit Slogans, die die Gesellschaft spalten, die Sündenböcke suchen, vor allem bei den Schwachen, Bedrängten und Marginalisierten, oder werben sie mit Mitgefühl gegenüber den Schwachen, gegenüber den Nächsten und gegenüber der so malträtierten Schöpfung. Gradmesser Empathie, um am 29. September in der Wahlzelle an der richtigen Stelle das Kreuzerl zu machen. Ein Kreuzerl mit großen Auswirkungen, auch was die Empathie betrifft.
Thomas Hennefeld