Reformation und Bilderstürm in Zürich vor 500 Jahren – Teil 1
Vor 500 Jahren zu Pfingsten fand der Bilderstürm in Zürich statt, und damit ein Startschuss für die reformierte Reformation. In zwei Teilen beschreibt Universitätsassistent Thomas Scheiwiller diesen reformatorischen Aspekt.
Bekenntnis zu „leeren“ Kirchen in Zürich
„Ir habt ein schönen sturm gethon! Ist das die reformation?“ fragte damals höhnisch ein Kritiker der Reformation, Thomas Murner. Die Bilderfrage ist neben der Rechtfertigungslehre, dem Schriftverständnis oder der Sakramentenlehre ein zentraler Aspekt der reformatorischen Auseinandersetzung mit der ‚alten Lehre‘, wie die römisch-katholische Kirche bezeichnet wird.
Bilderstürm als revolutionärer Akt
Schon vor Zwingli haben sich reformatorische Theologen bildkritisch geäußert: In Predigt und Schriften haben die Reformatoren Andreas Karlstadt 1522 in Wittenberg und Leo Jud, bzw. Ludwig Hätzer 1523 in Zürich die Bilderverehrung aus verschiedenen Gründen hinterfragt. Auch Martin Luther sieht sich gezwungen, zur Bilderfrage Stellung zu beziehen. Wie so oft kommt es dabei sowohl zu Übereinstimmungen als auch zu Differenzen mit den Positionen des Zürcher Reformators Ulrich Zwingli. Unter einem Bilderstürm wird oft ein unkontrollierter und revolutionärer Akt durch größere Bevölkerungsteile verstanden. Derartige Ereignisse haben sich in der alten Eidgenossenschaft nur vier Mal ereignet: Im Juli 1524 in der Kartause Ittingen (Thurgau), im Februar 1529 in der Abtei St. Gallen, ebenfalls im Februar 1529 in mehreren Sakralbauten Basels und 1531 in der Kollegiatkirche in Neuenburg. In all diesen Fällen konnte hinter der religiösen Begründung für die Kirchenräumungen eine politische Herrschaftskritik nachgewiesen werden. In allen anderen Fällen von Bilderstürmen innerhalb der Eidgenossenschaft handelte es sich entweder um Aktionen Einzelner bzw. Weniger oder um von den Gemeinden geleitete Räumungen der Kirchen. Der Bildersturm in Zürich war der historische Musterfall für einen von Theologen empfohlenen und der Regierung angeordneten Bildersturm.
Von der Bilderzerstörung zum organisierten Bilderstürm
Die Einzelstürme stellen sich für die Regierungen als Schwierigkeit dar, da sie bei der übrigen Bevölkerung als politische Provokation aufgefasst werden. Die Bilderzerstörung als Mittel der Kirchenkritik kann sich bereits auf eine mittelalterliche Tradition berufen. Besonders die im katholischen Jahreskalender eingeplanten Frei- und Festzeiten, wie Weihnachten, Neujahr oder Fasching bzw. Fastnacht werden von den Bürger:innen oft als revolutionäre Gelegenheiten wahrgenommen. So haben die ersten spontanen Bilderstürme in Zürich jeweils an Sonntagen stattgefunden. An der Zweiten Zürcher Disputation, einem theologischen Streitgespräch im Oktober 1523, wird das Bilderverbot diskutiert, wobei sich die Bildgegner durchsetzen können. Die individuellen und spontanen Bilderstürmer werden sofort geahndet, die Altarbilder geschlossen bzw. verhängt und keine neuen Bilder mehr angeschafft. Der Zürcher Rat hat außerdem versprochen, bis Pfingsten 1524 eine Regelung zum Bilderproblem zu finden. Allerdings sieht sich der Rat erst nach dem Bildersturm und der Altarzerstörung in Zollikon an Pfingsten 1524 unter Zugzwang: Er beschließt die Bilder aus den Kirchen zu entfernen, womit die Phase der organisierten Bilderstürme eingeleitet wird. Auch sprachlich kommt es zu Verschiebungen: noch vor dem Entscheid vom 15. Juni spricht der Rat von „Bildern“ – danach nur noch von „Götzen“. Zwischen dem 20. Juni und dem 2. Juli 1524 werden die Kirchen unter Ausschluss der Öffentlichkeit von ihren Bildern bzw. „Götzen“ – wie Zwingli und andere Reformatoren sie bezeichneten – bereinigt.
zerschlagen, zerhackt, zerrissen, verhökert
Dabei werden Fresken abgeschlagen, Altäre zerhackt, Skulpturen verbrannt, Bibliotheken zensuriert, Handschriften zerrissen und das Pergament verhökert. Schmuck und Messgewänder werden verkauft, liturgische Geräte und Metallschmuck eingeschmolzen. Der Grund dafür ist die verbreitete humanistische Kritik an der Werkgerechtigkeit und Leistungsfrömmigkeit. Die Reformatoren stellen sich gegen das Ansuchen um Hilfe bei den Heiligen und gegen einen mit unangemessenem Luxus überladenen Kirchenraum. Außerdem stören sie sich an der naturalistischen Darstellung der Bilder, die sie als zu aufreizend bzw. zu obszön einstufen. Dabei kommt es auch zu ungeahnten Neuerungen: Einerseits dürfen Stifter:innen ihre Schenkungen wieder abholen. Das konkurrierende Schenkungsverhalten verschiedener Familien, das Heil und Ehre zum Ziel hat, ist für Zwingli unerträglich. Der „Stuhlsturm“ von 1524 im Zürcher Großmünster hat andererseits aufgezeigt, dass mit der Zerstörung der mitunter reichlich verzierten Kirchenstühle des Bürgertums auch eine soziale Kritik ›von unten‹ erfolgt, die über das theologische Bilderverbot hinausgeht. Zwingli und seine Mitstreiter unterstützen deshalb einen geordneten Bildersturm, um zu verhindern, dass weitere sozialrevolutionäre Forderungen, wie die Abschaffung der Leibeigenschaft oder die Zahlung des Zehnt, voreilig in die Diskussion miteinbezogen werden. Allerdings stellt sich Zwingli bereits 1525 gegen die Leibeigenschaft und auch das Zehntsystem wird grundlegend umgestellt.
Bekenntnis zu „leeren Kirchen“
Mit dem Erlös der verkauften Kirchenkunst ist eine von der Obrigkeit organisierte Armenfürsorge geplant. Zwingli schreibt: „Du sollst das Geld, das man für die Bilderverehrung auslegt, für die Armen verwenden!“ Die Organisation der Bilderkritik hat für die Zürcher Reformation demnach nicht nur theologische, sondern auch soziale und politische Konsequenzen. Während einerseits theologisch gegen den Katholizismus und das Luthertum Stellung bezogen wird, hat man andererseits das Fürsorgesystem stützen können. Die damit verbundenen Enteignungsmaßnahmen haben überdies zur Festigung des religiösen und politischen Machtanspruchs geführt. Die religiöse Kontrolle über die Bilder ist zusehends zu einer staatlichen Angelegenheit geworden. Die Festigung der Reformation in Zürich führt dazu, dass die Bevölkerung das Bilderverbot nicht nur als religiöses Bekenntnis befolgt. Zunehmend kommt eine politische Dimension hinzu: Als erster reformierter Ort der Eidgenossenschaft muss sich Zürich mit dem Bekenntnis zu „leeren“ Kirchen auch politisch von seinen Nachbarn abgrenzen.
Thomas Scheiwiller
Universitätsassistent, Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien
Teil 2 folgt in der kommenden Ausgabe
Bild vom „Beeldenstorm in een kerk“, Dirck van Delen 1630, Jahrzehnte nach den Ereignissen des Bilderstürms, Wikimedia