Prof. Dr. Heribert PRANTL zu Gast
bei der 72. Internationalen Theologischen Bodenseekonferenz (IThBK)
21. September 2024 – Bregenz
Sonnenschein und ein strahlend blauer Himmel begrüßte die knapp 60 theologisch interessierten Gemeindeglieder und Pfarrpersonen aus Österreich, Deutschland, Schweiz und Liechtenstein, die am 21. September zur diesjährigen Internationalen Theologischen Bodenseekon-ferenz (IThBK) nach Bregenz gereist waren.
Ralf Stoffers, Pfarrer der Evangelischen Kirchgemeinde Bregenz und Mitglied des die Tagung vorbereitenden Comitées, eröffnete die 72. Ausgabe und begrüsste die analogen und digitalen Teilneh¬menden (u.a. aus Wien und dem deutsch-dänischen Grenzgebiet) und besonders den aus Berlin angereisten Referenten, Professor Dr. Heribert Prantl, in der Vorarlberger Landes-hauptstadt. Michael Ritsch, Bürgermeister von Bregenz, brachte seine Freude zum Ausdruck, dass Bre¬genz wieder Austragungsort war und nahm am Vormittag sowohl als Gast wie auch als Diskutant am Podium teil.
Die 1949 in Friedrichshafen ins Leben gerufene IThBK kann mittlerweile auf 72 Tagungen zu-rückblicken. Sowohl evangeli¬sche PfarrerInnen und TheologInnen, die um den Bodensee herum wir¬ken, wie seit Corona auch digital zugeschaltete Gäste sind ein¬geladen, jeweils ein Referat über ein aktuelles Thema, das Theologie und Gesell¬schaft betrifft, anzuhören und mit-einander zu diskutieren. Zweck und Ziel dieses Austausches ist das bessere Kennenlernen und protestantisch-theologisches Arbeiten über Landesgrenzen hinweg.
Heuer stand das Thema «Demokratie braucht Courage» im Mittelpunkt. Den historischen Hin-tergrund für das Thema bildeten die Aufstände der Bauern vor 500 Jah¬ren, die durch reforma-torisches Gedankengut bestärkt und ermutigt, ihre er¬kannten Rechte durchzusetzen versuch-ten. Um den Bodensee entwickelten sich die Aufstände – geprägt durch Landschaft und politi-sche Gegebenheiten – ganz unter¬schiedlich.
Kenntnisreich und anschaulich trugen Ralf Stoffers für Vorarlberg, Matthias Stahlmann für den Süddeutschen Raum, Thomas Bachofner für die Landgrafschaft Thurgau, und Dr. Daniel Schmid Holz für das St. Galler Kloster, Argumente vor, die die Zuhörenden verstehen liessen, wie und warum sich der Auf- und Widerstand gegen die Obrigkeit bzw. Leibeigenschaft entwi-ckelt haben.
Die demokratischen Bestrebungen nach Grundrechten für alle zeigte in allen Regionen in die-selbe Richtung. Beherztes und couragierte Eintreten, mit und ohne Gewalt waren die Folge.
Wie stark und wirkmächtig auch gewaltfreie Handlungen sein konnten, belegt die Ge¬schichte der St. Galler Fastnachts-Henne. Rund um die Fastnacht musste jeder Bauer seinem Fürs¬ten ein Huhn als Zeichen der Unterwürfigkeit übergeben. 1525 sind namentlich drei Bauern er-wähnt, die diesen Brauch verweigerten und auf diese Weise den Prozess des Widerstandes in Bewegung brachten.
Wenn eine «Henne» symbolisch für den Aufstand gegen die Klosterherrschaft in St Gallen stand, so würde «eine Flasche Wein», den österreichischen Weg kennzeich¬nen, antwortete Ralf Stoffers. In Vorarlberg zeigten sich Bauern und wohl auch Fürsten kooperativer, klüger und zurückhaltender. «Allerdings bedeutete die politische Loyalität der Bauern gegenüber dem Landesfürsten nicht, dass sie auch automatisch auf religi¬öser Ebene loyal waren. Die Forde-rung nach Wahl des Pfarrers auf kommunaler Ebene ist eines der wichtigsten Kennzeichen der sog. Gemeindereformation.»
In Memmingen, auf der anderen Seite des Bodensees, wurden am 12. März 1525 die berühm-ten 12 Memminger Artikel verfasst. Sie wurden von allen Oberallgäuer Bauern angenommen und umfassten die Forderungen, die die Bauern im deutschen Bau¬ernkrieg gegenüber dem Schwäbischen Bund erhoben. Sie gelten als die erste Nie¬derschrift von Menschen- und Frei-heitsrechten in Europa, und die zu den Zwölf Artikeln führenden Versammlungen gelten als erste verfassungsgebende Versammlung auf deutschem Boden.
Interessanterweise enthält auch hier der 1. Artikel die freie Wahl des Pfarrers. Sowohl die Kompetenz, den eigenen Pfarrer zu wählen, wie auch die Kompetenz ihn abzu¬wählen, «wenn er sich ungebührlich verhält», liegt bei der Kirchgemeinde. «Der Pfarrer soll das Evangelium lauter und klar ohne allen menschlichen Zusatz predigen, da in der Schrift steht, dass wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen können.»
Im Thurgau witterte das Landvolk mit der Reformation Morgenluft. Sie hörten von der herrli-chen Freiheit der Kinder Gottes in Christus. Sie wollten nun auch praktische For¬derungen da-raus ziehen und alte Lasten wie die Leibeigenschaft und die Zehnten¬pflicht abschaffen oder zumindest erleichtern. Religiöse und soziale Anliegen ver¬mischten sich. Thomas Bachofner erläuterte die konkreten Geschehnisse um den so¬genannten «Ittinger Sturm» von 1524, bei dem die Kartause Ittingen in Brand gesteckt wurde. Die aufgebrachte Menge versuchte so den gefangengenommenen Pfarrer Hans Oechsli aus Stein am Rhein zu befreien. Das war eine Eskalation, die den Bau¬ern letztlich schadete. Allerdings – so resümierte Thomas Bachofner – war es dem reformiertem Ort Zürch, und den schon damals aufs Geld Schauenden zu verdan-ken, dass es bei einem Gleichgewicht des Schreckens blieb. Man musste sich irgendwie zu-sammenraufen. Schon damals hielt das Geld die Schweiz zusammen.
Nach diesen vier kurzen historischen Überblick-Statements übernahm Prof. Dr. Heribert Prantl, ehemals Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, das Wort. Wis¬send, dass sein Publikum theologisch gebildet und protestantischer Provenienz ist, begann der Ka¬tholik Heri-bert Prantl sein Referat mit dem Reformator Thomas Müntzer. Gerade die Person Thomas Müntzer lehrt uns heute, was Einzelne mit und durch ihre Courage vollbringen, so der Referent.
In seiner Fürstenpredigt vom Juli 1524 trug Müntzer seine reformatorischen Anliegen öffentlich vor, die ihre Schärfe aus dem urdemokratischen Glauben, dass vor Gott und untereinander alle Menschen gleich behandelt sein müssen, bezieht. Müntzers Leidenschaft «Philippika», sein Widerstand gegen jede Art von Unterdrü¬ckung war weitreichender als die Martin Luthers. Ein halbes Jahr nach der Veröffentli¬chung seiner sog. Fürstenpredigt, war Thomas Müntzer tot. Im Rahmen der Schlacht bei Frankenhausen, bei der von 7000 Aufständischen 6000 nie-dergemetzelt wurden (auf Seiten des Fürstenheeres starben 6 Soldaten) wurde er gefangen-genommen und am 27. Mai 1525 in Mühlhau¬sen enthauptet. Wie wichtig dennoch das coura-gierte Auftreten des frommen und bibeltreuen Thomas Müntzer für die Entwicklung von Demo-kratie war, fasst Heribert Prantl pointiert zusammen:
«1492 entdeckte Kolumbus Amerika, 1524 wurde Müntzer
zum Urheber der später ent¬stande¬nen Formulierung ‘Wir sind das Volk’.»
Vom Anfang bis zum Schluss seines Referates war Prantls leidenschaftliches Plädoyer für das Leben in und mit Demokratie spürbar. Wie erfolgreich die Demokratie in Deutschland, nach Ende des zweiten Weltkrieges war, ist unbestritten. Jetzt aber steckt die Demokratie in einer Krise. Prantl gab dieser Beobachtung den bildhaften Namen: Apfel-Demokratie. 75 Jahre sind für einen Apfelbaum ein stattliches und auch kritisches Alter. Möglicherweise müssen dem Baum neue Zweige aufgepfropft werden, damit er wieder gute Früchte trägt. So ergeht es jetzt der Demokratie. Die Menschen müssen aktiv für die Demokratie eintreten. Einzelne, Vorbilder, Personen mit Haltung seien gefragt. Und jeder und jede, die in einer Demokratie lebt, habe Verantwortung für das Gelingen von Demokratie. Demokratie einüben beginne auf dem Pau-senhof in der Schule. Demokratie versteht sich nicht von selbst. Sie muss geübt werden. Sie muss sich Tag für Tag bewähren.
Im weiteren Verlauf seines Referates benannte Prantl für ihn wichtige Aspekte, die Folgen des couragierten Eintretens für Demokratie sind. So hielt er ein leidenschaftli¬ches Plädoyer für den Sozialstaat, der helfen kann, das oftmals unfaire Schicksal von Menschen zu korrigieren. Da wir Menschen dank des medizinischen Fortschritts län¬ger leben und «der Herbst» das ausge-dehnteste Zeitalter eines Menschenlebens ge¬worden ist, kann diese Gruppe von Menschen z.B. dafür Sorge tragen, den «Winter-Menschen» helfend zur Seite zu stehen, wissend, dass sie selbst auch einmal zu «Winter-Menschen» werden werden.
Prantl schloss sein lebendiges, bildreiches und engagiertes Referat mit dem Grund¬wert «Hoff-nung». Eines seiner Bücher trägt diesen Titel. Für ihn ist dieser Wert bib¬lisch-christlich begrün-det, gelernt hat er ihn durch die eigene Grossmutter, die er als eines seiner Vorbilder bezeich-nete. Hoffnung trägt in Krisen dazu bei, die Courage für Demokratie nicht zu verlieren.
Nach dem Mittagessen im «Wirtshaus am See» führte Stadtarchivar Mag. Thomas Klagian die Teilnehmer:innen unter dem Motto «Evangelisch & demokratisch – eine Spurensu¬che in der Landes¬hauptstadt» durch Bregenz. Die Gruppe konnte an entsprechenden Orten sehr an-schaulich sehen und hören, wie sich Reformation und Demokratie in Bregenz im 19. Jahrhun-dert verzahnt haben.
Zwar hatten Bregenz und die freie Reichsstadt Lindau schon immer konkurriert. Und tatsäch-lich entwickelte sich Gesellschaft und Handel in Lindau schneller und positiver, aber das rö-misch-katholische Bregenz holte schnell auf. «Wirtschafts-Migranten» aus dem Süddeutschen Raum, der Schweiz und Schottland sorgten dafür, dass sich refor¬matorische und demokrati-sche Gedanken in Bregenz ausbreiten konnten. Pragmati¬scher und toleranter Umgang zwi-schen Obrigkeit und Bauern und den neu sich entwi¬ckelnden Konfessionen, wie sie bereits im Statement von Ralf Stoffers für die ganze Region Vorarlberg angeklungen waren, konnte Ma-gister Klagian an konkreten Beispie¬len in Bregenz aufzeigen. Die neu «Ansässigen» betitelte Magister Klagian humorvoll mit der Abkürzung BMW. Mit BMW wurden Zuzügler bezeichnet, die als Bäcker, Metzger oder Wirtsleute ge¬kommen waren.
Mit dem Aufstieg zur Oberstadt, die die Umrisse des alten Bregenz mit etwa 1500 bis 2000 Einwohnern um 1550 anschaulich erahnen lassen, und dem Abstieg über Villen, die erfolgrei-che evangelische Unternehmer gebaut hatten, endete die Führung beim Rathaus in Bregenz.
Mammern/Bregenz am 30. September 2024
Arno Stöckle & Ralf Stoffers