2019 – Zwingli-Jahr

Besuch der Reformationsmauer in Genf im Rahmen einer ökumenischen Pressereise. © epd/uschmann

500 Jahre reformierte Reformation

Am 1. Jänner 1484 wurde Ulrich Zwingli in Wildhaus im Kanton St. Gallen geboren. 35 Jahre später wurde der damalige katholische Priester von den Chorherren an das Großmünster in Zürich berufen. So wie der Thesenanschlag Martin Luthers die Reformation in Deutschland ins Rollen brachte, so leitete der Ruf Zwinglis nach Zürich die Schweizer reformierte Reformation ein. Die Zürcher Landeskirche feiert 2019 ihr Reformationsjubiläum. Das Wirken Zwinglis strahlte auch ins benachbarte Ausland aus, so auch ins heutige Österreich. Die Evangelische Kirche H.B. hat ihren Ursprung in der Zürcher und Genfer Reformation. Ulrich Zwingli spielte dabei eine bedeutende Rolle. Aus diesem Grund feiert die Evangelische Kirche H.B. in Österreich das Jahr 2019 als Zwinglijahr und wird es mit Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen begehen.

Was Ulrich Zwingli mit Österreich verbindet

In mehrfacher Hinsicht gibt es Verbindungen von Zürich und Zwingli zur reformierten Kirche in Österreich. Ulrich Zwingli verbrachte einige Zeit in Wien. Er studierte um 1500 an der Universität in Wien. Eine Gedenktafel an der Alten Universität in der Sonnenfelsgasse erinnert daran. Das Wirken Zwinglis in Wien war mit ein Grund, weshalb die 1936 gebaute reformierte Kirche im Westen Wiens den Namen „Zwinglikirche“ bekam. Die wichtigsten Bekenntnisschriften der Reformierten Kirche in Österreich gehen indirekt auch auf Ulrich Zwingli zurück. Der Hauptverfasser des Heidelberger Katechismus, Zacharias Ursinus, war ein Zwinglianer, und der Verfasser des 2. Helvetischen Bekenntnisses, nach dem auch unsere Kirche benannt ist, Heinrich Bullinger, war der Nachfolger Zwinglis in Zürich und konsolidierte die Zürcher Reformation, baute aber auch theologisch auf dem Werk Zwinglis auf.

Zwinglis Reformation in Österreich

Bei allen Reformen berief sich Zwing¬ li auf die Bibel. Sie war für ihn die Grundlage seines Glaubens und Handelns, ohne dabei einem Fundamentalismus oder Biblizismus zu verfallen. Um die Bibel zu verstehen, brauche der Mensch Bildung, aber es müsse auch der heilige Geist wirken. Das eine geht nicht ohne das andere. Unter seiner Federführung entstand die erste Gesamtübersetzung von Altem und Neuem Testament auf deutsch. 2007 ist die letzte Neuübersetzung erschienen, die in reformierten Gemeinden auch in Gebrauch ist. Es war ein revolutionärer Schritt, als Zwingli die sogenannte „lectio continua“ einführte. Das bedeutete, dass er sich nicht mehr an eine vorgegebene Ordnung hielt, nach der die Bibeltexte für jeden Sonntag festgelegt waren, eine sog. Perikopenordnung, sondern er seine Predigten mit dem 1. Kapitel des Matthäusevangeliums begann und in den folgenden Wochen fortlaufend den jeweils folgenden Abschnitt als Grundlage seiner Predigt wählte. Gelegentlich wird diese Form auch heute in reformierten Kirchen praktiziert. Sonst gibt es die freie Wahl der Predigttexte.
Abendmahlverständnis
Das Abendmahlverständnis geht ebenfalls auf Zwingli zurück. Im Zentrum der Feier steht der Gedächtnis¬ charakter, wenn er auch von der Gegenwart Gottes nicht getrennt werden darf. Etwas verkürzt und pointiert könnte man den Unterschied zum römisch-katholischen Verständnis so beschreiben: Nicht Brot und Wein oder Saft wandeln sich sondern der Mensch, indem er Brot und Wein oder Saft zu sich nimmt, soll sich wandeln und erneuern.

Bilderverbot

Deutlich lässt sich der Einfluss der Zürcher Reformation an den Folgen des biblischen Bilderverbots erkennen. Zürich ließ Bilder und Statuen aus den Kirchen entfernen. Das Wort Gottes sollte im Mittelpunkt stehen. Nichts solle davon ablenken. Bilderanbetung oder Heiligenverehrung sei Götzendienst. Wertvolle Gegenstände wurden verkauft. Der Erlös kam den Armen zugute und wurde verwendet, um diakonische Einrichtungen aufzubauen. Auch heute unterscheiden sich reformierte von lutherischen und katholischen Kirchen durch ihre Bilder- und Schmucklosigkeit. Die meis¬ ten Kirchen haben einen schlichten Abendmahlstisch, aber weder Kruzifix noch Altar.

Politik

Ein weiteres Merkmal der Zürcher Reformation ist das besondere Verhältnis von Kirche zur Gesellschaft. Zwingli lebte in einem quasi vordemokratischen System. Die Räte, hauptsächlich Vertreter der Zünfte, bestimmten über das Schicksal der Stadt. Zwingli hatte auf politische Entscheidungen zwar Einfluss, konnte sie aber nicht selbst herbeiführen. Für Zwingli war sein politisches Wirken von seinem Glauben nicht zu trennen. Das weltliche und das geistliche Reich standen unter dem Anspruch der göttlichen Gerechtigkeit. Zwing¬ li ging es nicht um das Seelenheil der Menschen sondern darum, einen Ort zu schaffen, an dem der Mensch Ruhe findet. Das ist aber nur möglich, wenn, modern gesprochen, der Einzelne menschenwürdig leben kann, wenn er nicht bedrückt wird und ihm nicht Gewalt angetan wird. Heute zeigt sich dieses Glaubensverständnis in Positionen zu gesellschaftspolitischen Entwick¬ lungen und das Anprangern von Missständen und Fehlentwicklungen. Dieses Verständnis Zwinglis spiegelt sich auch in der Grundsatzerklärung der Kirche H.B. wider, in der es heißt: „Der ganzen Gemeinde ist das prophetische Amt aufgetragen. Sie ist verpflichtet, die aktuelle politische, soziale und kulturelle Situation zu analysieren und aus dieser Analyse ihr konkretes Sprechen und Handeln zu entwickeln. Sie ist bereit, die Zukunft mitzugestalten, und ist sich bewusst, damit Konflikte zu riskieren.“

THOMAS HENNEFELD