Wolfgang Wischmeyer ist nach schwerer Krankheit am 20. Juni 2025 in Erlangen verstorben. Noch im Oktober 2024 war es ihm vergönnt, bei guter Gesundheit seinen 80. Geburtstag mit einem wissenschaftlichen Kolloquium im Freundes- und Kollegenkreis zusammen mit seiner Familie zu begehen. Mit ihm hat die Evangelisch-Theologische Fakultät in Wien einen hochangesehenen Forscher und Lehrer im Gebiet der antiken Christentumsgeschichte, spätantiken Archäologie und christlichen Kunst verloren.
Er war Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Seine Arbeiten waren von unkonventionellen Zugriffen und Perspektiven geprägt, die sich als seiner Zeit weit voraus erweisen sollten. Sein Studium widmete er der Kunstgeschichte, der Klassischen und der Christlichen Archäologie sowie der evangelischen Theologie. Nach einem Jahr als Student an der theologischen (!) und der philosophischen Fakultät in Freiburg wechselte er nach Heidelberg und Göttingen, bevor er ab Sommer 1969 als wissenschaftlicher Assistent am christlich-archäologischen Seminar in Heidelberg tätig wurde. Seine wichtigsten Lehrer waren Johannes Kollwitz (Freiburg), Hans von Campenhausen (Heidelberg) und Carl Andresen (Göttingen), insbesondere aber sein Doktorvater Erich Dinkler (Heidelberg). Für seine Dissertationsschrift (1972) wurde er im Folgejahr in Heidelberg zum Dr. theol. promoviert und ihm außerdem 1975/76 das angesehene Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts zuerkannt.
Es folgte 1977 die Habilitation, ebenfalls in der Stadt am Neckar, sowie dann eine Zeit als aktiver Pfarrer in Mühlhausen an der Enz und an St. Markus in Erlangen. Daneben versah er eine apl. Professur in Heidelberg und später Erlangen, bevor er auf das Ordinariat für Kirchengeschichte, Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst nach Wien berufen wurde. Die Sozialgeschichte des Christentums war eines seiner Hauptanliegen. Seine Forschung war schon in seinen ersten Werken von einer Transdiziplinarität geprägt, die noch heute ihresgleichen sucht. In seiner Dissertationsschrift untersuchte er das spätantike Christentum in den beiden süditalienischen Provinzen Apulia et Calabria sowie Lucania et Bruttii umfassend. Dabei nahm er die damals bekannten literarischen, epigraphischen und archäologischen Zeugnisse in den Blick. Die Arbeit enthielt nicht nur sämtliche Inschriften im Originaltext, sondern auch Übersichtskarten, Pläne der wichtigsten Orte, Grundrisse der diskutierten spätantiken Kirchengebäude sowie viele Abbildungen.
Die Habilitationsschrift hatte den Schwerpunkt in Archäologie und Kunstgeschichte und befasste sich mit Sarkophagdeckeln konstantinischer Zeit in Rom. Auch hier beließ Wischmeyer es nicht bei der disziplinären Perspektive, sondern würdigte den material turn vorwegnehmend die einzelnen Objekte unter Berücksichtigung der Beschriftung und des Aufstellungsortes sowie die daraus folgenden sozialgeschichtlichen Aspekte. Großes Interesse richtete er auf das spätantike Nordafrika; eine Tagung der Patristischen Arbeitsgemeinschaft veranstaltete er zu diesem Thema 2010 in Wien. Die Frage nach den Entwicklungen im Verhältnis der frühen Christinnen und Christen zur antiken Gesellschaft insgesamt und nach den Verflechtungen dieser beiden nicht voneinander trennbaren Größen bildete den cantus firmus vieler seiner Arbeiten. Ob er dafür nun die berühmten Inschriften des Aberkios oder des Marcus Iulius Eugenius kontextualisierte, die Verehrer des allerhöchsten Gottes untersuchte oder magischen Texten nachging, Wischmeyer versuchte das Christentum und dessen vielfältige Ausdrucksformen in der größtmöglichen Breite wahrzunehmen, um eine theologiegeschichtliche Engführung zu vermeiden. Dabei hatte er nicht nur in zahlreichen Aufsätzen die Details im Blick, sondern führte die verschiedenen Fäden immer wieder zusammen wie in seiner Sozialgeschichte der Kirche im 3. Jahrhundert „Von Golgatha zum Ponte Molle“ (1992). Diese berücksichtigte schon damals in je einem Kapitel christliche Sklaven und weibliche Akteure. Schon zehn Jahre zuvor hatte er mit dem Band „Griechische und lateinische Inschriften zur Sozialgeschichte der Alten Kirche“ eine Grundlage dafür gelegt, entsprechendes Quellenmaterial in der Lehre einzubringen.
Seine für ihn völlig selbstverständliche Vernetzung mit Philologen, Historikern und Archäologen der Universität Wien und der österreichischen Akademie der Wissenschaften ließ ihn zu einer wichtigen Stütze des interdisziplinären „Arbeitskreises zum christlichen Diskurs in Spätantike und Frühmittelalter“ werden. Nach seiner Emeritierung 2013 konnte er mehrere langjährige Forschungs- und Kooperationsprojekte zu ihrem glücklichen Ende bringen. Gleich 2014 erschien die mit Johannes Divjak besorgte zweibändige Ausgabe und Kommentierung des kulturgeschichtlich höchst bedeutsamen Chronographen von 354 („Filocalus-Kalender“). Die letzten Jahre widmete er vor allem der umfassenden Erschließung christlicher Märtyrertexte. Dies tat er gemeinsam mit seinem langjährigen Weggefährten Hans Reinhard Seeliger, den er dereinst in den Katakomben Roms kennengelernt hatte. Als greifbares Ergebnis dieser kongenialen Kooperation ist schon 2015 die seither maßgebliche Ausgabe der älteren christlichen Märtyrertexte aus dem gesamten Mittelmeerraum mit Übersetzung und Kommentar gedruckt worden. Noch 2022 gaben die beiden die Legendae martyrum urbis Romae lateinisch-deutsch heraus.
Wischmeyer stellte sich bereitwillig in den Dienst seines Faches. Er beteiligte sich ausgiebig an mehreren Lexikonprojekten und fungierte seit der Gründung 1997 als Mitherausgeber der Zeitschrift für Antikes Christentum, seit eben jenem Jahr war er zudem Mitglied der Kirchenväter Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Von 1998 bis 2015 fungierte er als Vorsitzender des 1996 gegründeten Süd-Ost-Mitteleuropäischen Fakultätentags für evangelische Theologie, der heute zwölf Fakultäten aus fünf Ländern umfasst.
Er engagierte sich darüber hinaus in der Kirche in Östereich als Mitglied sowohl in der Synode der Evangelischen Kirche H.B. als auch im Theologischen Ausschuss der Evangelischen Kirche A. und H.B. Mit seiner Reisefreude prägte er durch Exkursionen in den Mittelmeerraum Generationen von Studierenden. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau, seinen Söhnen und Enkelkindern. Wir werden ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.
Philipp Pilhofer, Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien
Uta Heil, Dekanin der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien